Ankündigungen

Erklärung über die Auflösung von Josoor

Nach zweieinhalb Jahren der Unterstützung von Pushback- Überlebenden und der Dokumentation unzähliger Menschenrechtsverletzungen durch das EU- Grenzregime, haben wir die herzzerreißende Entscheidung getroffen, Josoor offiziell aufzulösen. Mit dieser Erklärung wollen wir die Gründe dafür und Auswirkungen davon darlegen.

Nach zweieinhalb Jahren intensiver Arbeit, der Unterstützung von Pushback- Überlebenden als auch der Dokumentation unzähliger Menschenrechtsverletzungen durch das EU- Grenzregime, haben wir die herzzerreißende Entscheidung getroffen, Josoor offiziell aufzulösen.

Im Folgenden möchten wir die Gründe veranschaulichen, die unser Team zu dieser Entscheidung geführt haben; die Auswirkungen, die die Auflösung hat; und die Hoffnungen und Sorgen, die wir für die Zukunft dieses Bereiches und dieser Region haben.

Gründe der Auflösung

Die Entscheidung, Josoors Arbeit zu beenden, wurde von verschiedenen Faktoren diktiert, die unser Team zunehmend in Gefahr gebracht und unsere Arbeit letztendlich fast unmöglich gemacht haben. Dazu gehören die sich verschlechternde Situation in der Türkei, die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in Europa und ein Mangel an finanziellen Mitteln, unsere Arbeit weiterzuführen und insbesondere, um auf die hier beschriebenen zunehmenden Bedrohungen adäquat reagieren zu können.

Verschlechterung der Lage in der Türkei

Während die EU sich jahrelang nicht an ihren Teil des sogenannten “EU-Türkei-Deals” gehalten hat, hat sich die Situation in der Türkei zu einer offen feindseligen Stimmung gegenüber Geflüchteten und im Weiteren gegen alle Ausländer:innen verschlechtert. Groß angelegte Abschiebungskampagnen sowie Änderungen in der Rechtspraxis haben die Situation im Verlauf der letzten Jahre und insbesondere Monate eskalieren lassen.

2019 kam es zur ersten Welle groß angelegter Abschiebekampagnen nach Syrien mit gleichzeitigem harten Vorgehen gegen Organisationen der Zivilgesellschaft, die Geflüchtete und Menschen auf der Flucht durch die Türkei unterstützten. Viele davon mussten schließen, das Land verlassen oder ihre Arbeit einschränken. Die wenigen verbliebenen oder seither gegründeten Organisationen arbeiten seither aufgrund der überwältigenden Nachfrage nach Unterstützung in dem Land, das weltweit die meisten Geflüchteten beherbergt, unter immensem Druck.

2020 eskalierte das Scheitern des „EU-Türkei-Deals“ und markierte den Beginn einer neuen Ära der Rechtlosigkeit an den EU-Außengrenzen zur Türkei. Zehntausende Menschen gerieten ins Kreuzfeuer, strandeten einen Monat lang unter entsetzlichen Bedingungen an der Landgrenze. Vor diesem Hintergrund hat Josoor seine Tätigkeit in der Türkei aufgenommen. Ursprünglich nur als Nothilfe für wenige Wochen geplant, erkannten wir bald die immense Lücke in der Unterstützung für Geflüchtete in der Türkei, insbesondere für Pushback-Überlebende und beschlossen, mit der Unterstützung, die wir geben konnten, so lange wie möglich zu bleiben. Mit dieser Entscheidung begaben wir uns bewusst auch ins Kreuzfeuer. Unsere Arbeit war immer ein schmaler Grat zwischen Unterstützung sowie Beobachtung der Situation an den EU-Außengrenzen zur Türkei und gleichzeitiger Gewährleistung der höchstmöglichen Sicherheit für unser Team. Während zwei unserer Mitglieder in diesem Jahr die Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde, sah sich Josoor auch den ersten strafrechtlichen Ermittlungen in Griechenland gegenüber (dazu mehr auf Deutsch hier oder auf Englisch hier).

2021 wurde weiteren Teammitgliedern die Aufenthaltserlaubnis entzogen bzw.  ihr Antrag auf Verlängerung abgelehnt, teilweise mit der Begründung, sie wären „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. Während die Teammitglieder, die die EU-Staatsbürgerschaft besitzen, bis zum Widerruf ihrer Aufenthaltserlaubnis sicher arbeiten können, haben die türkischen Staatsbürger:innen und Geflüchteten unter uns nicht das gleiche Privileg, einfach in ein sicheres Land zurückkehren zu können, wenn sie in der Türkei nicht mehr willkommen sind. Inzwischen hat sich auch die Rechtspraxis für die von uns unterstützten Menschen drastisch geändert: alle, die nach einem Pushback aus Griechenland oder Bulgarien in die Türkei zurückkehren, erhalten einen Abschiebebescheid auf der Grundlage eines Gesetzes, das den illegalen Grenzübertritt beim versuchten Verlassen der Türkei verbietet. Zusätzlich ist es für neu ankommende Geflüchtete praktisch unmöglich geworden, Zugang zum humanitären Visa-/temporären Schutzsystem in der Türkei zu erhalten (wo es überhaupt kein Asyl gibt). Das bedeutet, dass fast alle Menschen, die wir unterstützt haben, jetzt undokumentiert sind, was sie und unser Team in dem sich ändernden Kontext einem hohen Risiko aussetzt.

2022 kam es zu einer Reihe neuer Gesetze und weiteren Änderungen der bisherigen Praxis, die Josoors Arbeit in der Türkei letztendlich unmöglich machten. Seit Februar waren tausende Bezirke des Landes „für Ausländer:innen gesperrt“, darunter der größte Teil von Istanbul, wo wir auch tätig sind. Im Juni wurde offiziell bekannt gegeben, dass „allen Ausländer:innen, die nach dem 10. Februar 2022 eingereist sind, die Aufenthaltserlaubnis verweigert wird“. Da alle neuen Anträge auf Aufenthaltserlaubnis und die meisten Anträge auf Verlängerung abgelehnt wurden, können wir keine neuen Teammitglieder von außerhalb in die Türkei bringen. Diejenigen, die schon im Land leben, begeben sich entweder ohne privilegierte Staatsbürgerschaft in ein großes Risiko oder haben eine Aufenthaltserlaubnis, die bald ausläuft und wahrscheinlich nicht verlängert wird. Andere neue Gesetze machen das System, mit dem wir bislang erfolgreich Pushback-Überlebende unterstützen konnten, schlicht unmöglich. Uns ist z.B. der Transport von verletzten oder kranken Menschen zu Kliniken und Krankenhäusern nicht mehr möglich, da Taxifahrer nun gesetzlich verpflichtet sind, Aufenthaltsdokumente zu verlangen und bei Nichtvorliegen direkt zur nächsten Polizeidienststelle zu fahren. Im Laufe der Zeit wurden Abschiebekampagnen durchgeführt, bei denen alle paar Monate koordinierte groß angelegte Operationen im ganzen Land stattfanden, die immer brutaler wurden. 

Die Atmosphäre im Land - von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigt, von Brüssel zum Narren gehalten, gebeutelt von der Wirtschaftskrise - wirkt so, als würde eine Eskalation der Situation unmittelbar bevorstehen, sodass wir keine ausreichende Sicherheit mehr für unser Team, insbesondere die ohne privilegierten Pass, sowie die Menschen, die wir unterstützen, gewährleisten können. 

Erosion der europäischen Rechtsstaatlichkeit und Eskalation des Kriegs gegen Migration

Seit Beginn des „globalen Krieges gegen den Terror“ werden Flucht und Migration von einem rassistischen Versicherheitlichungsnarrativ begleitet. „Sicherheit“ (als vager Begriff) wird über allem anderen priorisiert, einschließlich des bestehenden Rechts, der vermeintlichen Werte der Europäischen Union und der grundlegenden Menschenrechte. Seit Jahrzehnten kriminalisieren europäische Behörden Asylsuchende, Geflüchtete und Menschen auf der Flucht in einer für EU-Bürger:innen undenkbaren Weise. In den letzten Jahren ist diese Erosion der Rechtsstaatlichkeit eskaliert und hat sich von den Grenzen weit ins Landesinnere ausgebreitet, von Menschen auf der Flucht bis zur sekundären Kriminalisierung nicht nur von Menschenrechtsverteidigern, sondern auch von Journalist:innen, Anwält:innen, Ärzt:innen und anderen ausgeweitet. In diesem Kontext haben die griechischen Behörden bisher drei strafrechtliche Ermittlungen gegen Josoor eingeleitet. Obwohl wir niemals gegen das griechische Gesetz verstoßen haben und obwohl Griechenland nie Beweise dafür gefunden hat, dass wir uns an illegalen Aktivitäten beteiligt hätten, und uns daher bis heute nie zu Gericht geladen hat, unternimmt die Regierung weiterhin enorme Anstrengungen, um Beweise für unser angebliches Fehlverhalten zu finden - einschließlich der Anwerbung von Asylsuchenden als Informanten und die Überwachung der Telefone von Teammitgliedern. Dies gefährdet zweifellos unser Team. Aber wir werden immer noch in einer privilegierten Position sein, mit den besten Anwält:innen, der Aufmerksamkeit der Medien usw. auf unserer Seite – während jeden Tag unzählige Menschen ohne faires Verfahren eingesperrt werden, nur weil sie eine Grenze überschritten haben, um Schutz zu suchen, wie es ihr gesetzliches Recht ist.

Diese Entwicklung geht ebenso mit einer erschreckenden Entmenschlichung von Menschen auf der Flucht einher, was wiederum eine ständige Eskalation des Krieges gegen Migration sowie die Instrumentalisierung von Schutzsuchenden erlaubt. Gerade in unserem Kontext stecken die Menschen im Kreuzfeuer des Konflikts zwischen der EU und der Türkei. Indem wir sie unterstützt haben, haben wir uns bewusst in die gleiche Position gebracht, solange das Risiko ertragbar war. Doch in diesem Jahr und insbesondere in den letzten zwei Monaten haben beide Seiten dieses Konflikts deutlich gemacht, dass es überhaupt keine Gnade mehr für Menschen gibt, die dazwischen feststecken. Wir haben einfach nicht das Mandat und die Mittel, um auf diese neue Eskalationsstufe des Grenzregimes verantwortungsvoll zu reagieren.

Wir wollen eines klarstellen: Europa ist auf dem Weg, nichts Geringeres als seine Demokratie zu zerstören – mit allen festgeschriebenen Grundrechten, für alle.

Fehlende finanzielle Mittel

Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben auch zu einem der Hauptgründe für die Auflösung von Josoor geführt: ein großer Mangel an finanziellen Mitteln. Abgesehen von einer 15.000 € Förderung im Jahr 2020 und 10.000 USD sowie einer Spende von 8.000 GBP im Jahr 2021 haben wir unsere Arbeit immer nur mit kleinen Spenden und aus eigener Tasche finanziert. Es hat nie gereicht. Natürlich geben wir uns viel Mühe bei Förderanträgen und Spendenaktionen. Aber so viele Mittel sind aus dem Feld abgezogen worden, dass die Konkurrenz von Graswurzel-Organisationen, die an ähnlichen Projekten arbeiten, immens ist.

Zudem wurde die Türkei ironischerweise von den meisten Gebern vernachlässigt. Obwohl das Land weltweit die meisten Geflüchteten beherbergt, schließen die meisten Geber:innen es aus ihrem regionalen Fokus aus, da es weder zu Europa noch zum Nahen Osten gezählt wird.

Schließlich disqualifiziert uns auch die Kriminalisierung, der Josoor ausgesetzt war und ist, oft von Förderanträgen.

Wir mussten uns jetzt der Situation stellen, dass wir in ein paar Monaten keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung haben, weder für die Unterstützung von Menschen auf der Flucht, noch zur Bewältigung der Sicherheitsrisiken oder zur Entschädigung von Mitgliedern, von denen die meisten ohnehin ohne jegliche Bezahlung gearbeitet haben.

Psychische Gesundheit 

Die Mehrheit der von uns unterstützten Menschen hat sowohl in ihrem Herkunftsland als auch auf der Flucht mehrere traumatische Erlebnisse durchgemacht. Die meisten Menschen, die wir unterstützen, haben weder die Wahl, in der Türkei zu bleiben oder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, noch eine andere Möglichkeit, die Türkei zu verlassen, als ihr Leben zu riskieren, die Grenzen zu überschreiten und erneut Pushbacks ausgesetzt zu sein. Die zunehmende Gewalt und Demütigung in Pushbacks und das eklatante Fehlen von Betreuungsstrukturen haben (re)traumatisierende Auswirkungen. Der Mangel an rechtlicher Unterstützung, die Täter:innen vor Gericht zu bringen, hinterlässt meist ein enormes Gefühl der Hilflosigkeit angesichts schwerer Ungerechtigkeit. All dies führt zu Chronifizierungen psychischer Störungen. 

Durch die grundlegende Unterstützung von Pushback-Überlebenden und die Dokumentation von Grenzgewalt war unser Team ständig traumatischen Erfahrungen ausgesetzt, die in diesem sich schnell verschlechternden Umfeld zu sekundären Traumatisierungen, Gefühlen der Hilflosigkeit, Depressionen, Angstzuständen und vielem mehr führten. Auch die ständige Ungewissheit durch den unsicheren Status in der Türkei, Finanzierung, Kriminalisierung durch Griechenland und die allgemeine Ohnmacht gegenüber der EU führten zu immer größerer Verzweiflung und Resignation. Bei Andauern dieser Mehrfachbelastung über längere Zeit, wandeln sich die beschriebenen Symptome in chronische Störungen, die einige unserer Teammitglieder seit Langem erleben. Dazu gehören Schlafstörungen, Angst, Stress, Schuldgefühle, Stimmungsschwankungen, Flashbacks sowie ein chronisch überlastetes Nervensystem durch die Arbeit an Notfällen rund um die Uhr.

Auswirkungen der Auflösung

Wir sind uns schmerzlich dessen bewusst, dass das Ende von Josoor auf mehreren Ebenen enorme Auswirkungen haben wird. In erster Linie auf die Menschen, die wir unterstützen und die dort, wo Josoor zwischenzeitig tätig war, wieder eine Lücke finden werden; aber auch auf das gesamte Umfeld.

Auswirkung auf die Menschen, die Josoor unterstützt hat

So sehr wir unser Bestes geben, das Feld möglichst verantwortungsvoll zu verlassen, einschließlich der Vermittlung von uns unterstützten Menschen an andere Organisationen: es ist herzzerreißend, die Reaktionen auf unsere Auflösung mitzuerleben. Eine verwitwete fünffache Mutter, die wir schon seit einiger Zeit unterstützen und noch einige Monate unterstützen werden, brach weinend zusammen und schrie: „Was ist mit all den anderen, die jetzt zurückkommen – es gibt niemanden für sie“.

Die Deckung von Grundbedürfnissen, die Josoor geleistet hat, war essentiell und wird eine Lücke hinterlassen. Aber dies war nicht der wichtigste Verdienst von Josoor für unsere Zielgruppe. Das war immer wieder der Satz, den Menschen nach ihrem ersten Kontakt mit Josoor zu uns sagten: „Wir dachten, es gibt keine Menschlichkeit mehr, und dann haben wir euch gefunden.“ Josoor gab mehr als alles andere Hoffnung, dass es da draußen noch einige Menschen gibt, die sich für grundlegende Menschenrechte einsetzen und dort, wo sie buchstäblich mit Füßen getreten werden, nicht wegschauen.

Auswirkungen auf das Umfeld

Abgesehen von der gravierenden Lücke in der Unterstützung von Pushback- Überlebenden in der Türkei (mit Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, Erster Hilfe und medizinischer Versorgung), reicht die Lücke, die Josoor ursprünglich gefüllt hat, aber nun wieder hinterlassen wird, viel weiter. Sie umfasst den schwerwiegenden Mangel an Beobachtung der Ereignisse an den EU-Außengrenzen zur Türkei, die Einschränkung des Zugangs von internationaler Presse zu Pushback-Überlebenden und Zeug:innen sowie die Analyse von Entwicklungen an diesen Grenzen. Josoors Auflösung erhöht weiterhin den Druck auf die wenigen verbleibenden Organisationen in der Türkei, noch mehr Menschen zu unterstützen – während der Bedarf nach Unterstützung immer größer wird. Darüber hinaus haben unsere langjährigen Freund:innen und Verbündeten des Border Violence Monitoring Network weniger Hände für gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Recherchen und gemeinsame Projekte. Mit der Auflösung von Josoor, der einzigen Partnerorganisation des BVMN auf dieser Seite einer der wichtigsten Grenzen der EU, ist niemand mehr da, um die Gewalt weiterhin zu beobachten. 

Auflösung

Als Resultat der oben beschriebenen Entwicklungen hat Josoor nunmehr offiziell und endgültig jegliche Arbeit eingestellt und ist in sämtlichen Bereichen von Dokumentation der Grenzgewalt, politischer Arbeit, Pressearbeit, bis hin zu Social Media nicht mehr tätig.

Über info@josoor.net sind wir jedoch noch bis zum 1. Oktober erreichbar, bis der Verein offiziell aufgelöst wird.

Fazit

Trotz der enormen Schuldgefühle darüber, diese beängstigende Lücke zu hinterlassen, die bestehen wird, wenn wir gehen, sehen wir die Auflösung von Josoor als die einzig vernünftige Entscheidung, die wir zu diesem Zeitpunkt treffen können. Es ist uns wichtig zu unterstreichen, dass dies nicht nur auf Josoors spezifische Umstände zurückzuführen ist. Es liegt vor allem daran, dass überall dort, wo Menschenrechte systematisch verletzt werden, die verantwortlichen Regierungen alles in ihrer Macht stehende tun werden, um Zeug:innen mundtot zu machen. Auch die Tatsache, dass mit der weit fortgeschrittenen Erosion der Rechtsstaatlichkeit die Arbeit, die wir geleistet haben, nur mehr von jenen Akteur:innen auf verantwortliche Weise durchgeführt werden kann, welche mit dem notwendigem Mandat und der Finanzierung ausgestattet sind, um die Sicherheit für ihre Teams ebenso wie für die Menschen, die diesen schweren systematischen Verletzungen ausgesetzt sind, zu gewährleisten.

Es wäre unser größter Wunsch, dass andere einspringen und die Lücke füllen, die wir 2020 vorgefunden haben und jetzt in unserem dritten Jahr wieder zurücklassen. Aber wir befürchten auch, dass einige, die dies versuchen könnten, sich der großen Risiken nicht bewusst sind, die die Arbeit im Pushback- Bereich und insbesondere in diesem stark vorbelasteten geopolitischen Kontext mit sich bringt. Wir sprechen damit eine Warnung an andere zivilgesellschaftliche Akteur:innen aus, die ein Einschreiten erwägen, sich der verschiedenen Risiken bewusst zu sein, denen sie sich selbst und möglicherweise auch die Menschen aussetzen, die wir alle unterstützen möchten. Wir würden eher dazu raten, sich darauf zu konzentrieren, Druck auf die verantwortlichen supranationalen und globalen Institutionen auszuüben, endlich ihren viel zu lange vernachlässigten Pflichten nachzukommen.

Wir bleiben all unseren Teammitgliedern auf ewig dankbar, ohne deren Arbeit und Engagement für Josoor`s Vision nichts möglich gewesen wäre. Ebenso dankbar sind wir unseren Spender:innen, Anhänger:innen und Partnerorganisationen, die in den letzten zweieinhalb Jahren an unsere Arbeit und unsere Werte geglaubt und diese unterstützt haben. Und schließlich, aber genauso wichtig, danken wir all den Menschen, die wir im Laufe der Jahre unterstützt haben; für ihr Vertrauen in uns, die Lektionen, die sie uns beigebracht haben, und dafür, dass sie einige der intimsten und traumatischsten Momente ihres Lebens in der Hoffnung geteilt haben, dass es helfen könnte, genug Licht auf die schrecklichen Ereignisse zu werfen, die sich jeden Tag an Europas Grenzen abspielen, um dieses brutale, rassistische Regime schließlich und endgültig zu beenden.

Während der Verein in diesem Herbst aufgelöst wird, wird Josoors Vision einer Welt, in der Menschenrechte für jeden Menschen gelten und Solidarität alle Grenzen überschreitet, bestehen bleiben – ebenso wie das Engagement jedes unserer Teammitglieder, die Menschenrechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft , Aussehen, Muttersprache oder Weltanschauung zu verteidigen.

Nach zweieinhalb Jahren intensiver Arbeit, der Unterstützung von Pushback- Überlebenden als auch der Dokumentation unzähliger Menschenrechtsverletzungen durch das EU- Grenzregime, haben wir die herzzerreißende Entscheidung getroffen, Josoor offiziell aufzulösen.

Im Folgenden möchten wir die Gründe veranschaulichen, die unser Team zu dieser Entscheidung geführt haben; die Auswirkungen, die die Auflösung hat; und die Hoffnungen und Sorgen, die wir für die Zukunft dieses Bereiches und dieser Region haben.

Gründe der Auflösung

Die Entscheidung, Josoors Arbeit zu beenden, wurde von verschiedenen Faktoren diktiert, die unser Team zunehmend in Gefahr gebracht und unsere Arbeit letztendlich fast unmöglich gemacht haben. Dazu gehören die sich verschlechternde Situation in der Türkei, die Erosion der Rechtsstaatlichkeit in Europa und ein Mangel an finanziellen Mitteln, unsere Arbeit weiterzuführen und insbesondere, um auf die hier beschriebenen zunehmenden Bedrohungen adäquat reagieren zu können.

Verschlechterung der Lage in der Türkei

Während die EU sich jahrelang nicht an ihren Teil des sogenannten “EU-Türkei-Deals” gehalten hat, hat sich die Situation in der Türkei zu einer offen feindseligen Stimmung gegenüber Geflüchteten und im Weiteren gegen alle Ausländer:innen verschlechtert. Groß angelegte Abschiebungskampagnen sowie Änderungen in der Rechtspraxis haben die Situation im Verlauf der letzten Jahre und insbesondere Monate eskalieren lassen.

2019 kam es zur ersten Welle groß angelegter Abschiebekampagnen nach Syrien mit gleichzeitigem harten Vorgehen gegen Organisationen der Zivilgesellschaft, die Geflüchtete und Menschen auf der Flucht durch die Türkei unterstützten. Viele davon mussten schließen, das Land verlassen oder ihre Arbeit einschränken. Die wenigen verbliebenen oder seither gegründeten Organisationen arbeiten seither aufgrund der überwältigenden Nachfrage nach Unterstützung in dem Land, das weltweit die meisten Geflüchteten beherbergt, unter immensem Druck.

2020 eskalierte das Scheitern des „EU-Türkei-Deals“ und markierte den Beginn einer neuen Ära der Rechtlosigkeit an den EU-Außengrenzen zur Türkei. Zehntausende Menschen gerieten ins Kreuzfeuer, strandeten einen Monat lang unter entsetzlichen Bedingungen an der Landgrenze. Vor diesem Hintergrund hat Josoor seine Tätigkeit in der Türkei aufgenommen. Ursprünglich nur als Nothilfe für wenige Wochen geplant, erkannten wir bald die immense Lücke in der Unterstützung für Geflüchtete in der Türkei, insbesondere für Pushback-Überlebende und beschlossen, mit der Unterstützung, die wir geben konnten, so lange wie möglich zu bleiben. Mit dieser Entscheidung begaben wir uns bewusst auch ins Kreuzfeuer. Unsere Arbeit war immer ein schmaler Grat zwischen Unterstützung sowie Beobachtung der Situation an den EU-Außengrenzen zur Türkei und gleichzeitiger Gewährleistung der höchstmöglichen Sicherheit für unser Team. Während zwei unserer Mitglieder in diesem Jahr die Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde, sah sich Josoor auch den ersten strafrechtlichen Ermittlungen in Griechenland gegenüber (dazu mehr auf Deutsch hier oder auf Englisch hier).

2021 wurde weiteren Teammitgliedern die Aufenthaltserlaubnis entzogen bzw.  ihr Antrag auf Verlängerung abgelehnt, teilweise mit der Begründung, sie wären „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. Während die Teammitglieder, die die EU-Staatsbürgerschaft besitzen, bis zum Widerruf ihrer Aufenthaltserlaubnis sicher arbeiten können, haben die türkischen Staatsbürger:innen und Geflüchteten unter uns nicht das gleiche Privileg, einfach in ein sicheres Land zurückkehren zu können, wenn sie in der Türkei nicht mehr willkommen sind. Inzwischen hat sich auch die Rechtspraxis für die von uns unterstützten Menschen drastisch geändert: alle, die nach einem Pushback aus Griechenland oder Bulgarien in die Türkei zurückkehren, erhalten einen Abschiebebescheid auf der Grundlage eines Gesetzes, das den illegalen Grenzübertritt beim versuchten Verlassen der Türkei verbietet. Zusätzlich ist es für neu ankommende Geflüchtete praktisch unmöglich geworden, Zugang zum humanitären Visa-/temporären Schutzsystem in der Türkei zu erhalten (wo es überhaupt kein Asyl gibt). Das bedeutet, dass fast alle Menschen, die wir unterstützt haben, jetzt undokumentiert sind, was sie und unser Team in dem sich ändernden Kontext einem hohen Risiko aussetzt.

2022 kam es zu einer Reihe neuer Gesetze und weiteren Änderungen der bisherigen Praxis, die Josoors Arbeit in der Türkei letztendlich unmöglich machten. Seit Februar waren tausende Bezirke des Landes „für Ausländer:innen gesperrt“, darunter der größte Teil von Istanbul, wo wir auch tätig sind. Im Juni wurde offiziell bekannt gegeben, dass „allen Ausländer:innen, die nach dem 10. Februar 2022 eingereist sind, die Aufenthaltserlaubnis verweigert wird“. Da alle neuen Anträge auf Aufenthaltserlaubnis und die meisten Anträge auf Verlängerung abgelehnt wurden, können wir keine neuen Teammitglieder von außerhalb in die Türkei bringen. Diejenigen, die schon im Land leben, begeben sich entweder ohne privilegierte Staatsbürgerschaft in ein großes Risiko oder haben eine Aufenthaltserlaubnis, die bald ausläuft und wahrscheinlich nicht verlängert wird. Andere neue Gesetze machen das System, mit dem wir bislang erfolgreich Pushback-Überlebende unterstützen konnten, schlicht unmöglich. Uns ist z.B. der Transport von verletzten oder kranken Menschen zu Kliniken und Krankenhäusern nicht mehr möglich, da Taxifahrer nun gesetzlich verpflichtet sind, Aufenthaltsdokumente zu verlangen und bei Nichtvorliegen direkt zur nächsten Polizeidienststelle zu fahren. Im Laufe der Zeit wurden Abschiebekampagnen durchgeführt, bei denen alle paar Monate koordinierte groß angelegte Operationen im ganzen Land stattfanden, die immer brutaler wurden. 

Die Atmosphäre im Land - von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigt, von Brüssel zum Narren gehalten, gebeutelt von der Wirtschaftskrise - wirkt so, als würde eine Eskalation der Situation unmittelbar bevorstehen, sodass wir keine ausreichende Sicherheit mehr für unser Team, insbesondere die ohne privilegierten Pass, sowie die Menschen, die wir unterstützen, gewährleisten können. 

Erosion der europäischen Rechtsstaatlichkeit und Eskalation des Kriegs gegen Migration

Seit Beginn des „globalen Krieges gegen den Terror“ werden Flucht und Migration von einem rassistischen Versicherheitlichungsnarrativ begleitet. „Sicherheit“ (als vager Begriff) wird über allem anderen priorisiert, einschließlich des bestehenden Rechts, der vermeintlichen Werte der Europäischen Union und der grundlegenden Menschenrechte. Seit Jahrzehnten kriminalisieren europäische Behörden Asylsuchende, Geflüchtete und Menschen auf der Flucht in einer für EU-Bürger:innen undenkbaren Weise. In den letzten Jahren ist diese Erosion der Rechtsstaatlichkeit eskaliert und hat sich von den Grenzen weit ins Landesinnere ausgebreitet, von Menschen auf der Flucht bis zur sekundären Kriminalisierung nicht nur von Menschenrechtsverteidigern, sondern auch von Journalist:innen, Anwält:innen, Ärzt:innen und anderen ausgeweitet. In diesem Kontext haben die griechischen Behörden bisher drei strafrechtliche Ermittlungen gegen Josoor eingeleitet. Obwohl wir niemals gegen das griechische Gesetz verstoßen haben und obwohl Griechenland nie Beweise dafür gefunden hat, dass wir uns an illegalen Aktivitäten beteiligt hätten, und uns daher bis heute nie zu Gericht geladen hat, unternimmt die Regierung weiterhin enorme Anstrengungen, um Beweise für unser angebliches Fehlverhalten zu finden - einschließlich der Anwerbung von Asylsuchenden als Informanten und die Überwachung der Telefone von Teammitgliedern. Dies gefährdet zweifellos unser Team. Aber wir werden immer noch in einer privilegierten Position sein, mit den besten Anwält:innen, der Aufmerksamkeit der Medien usw. auf unserer Seite – während jeden Tag unzählige Menschen ohne faires Verfahren eingesperrt werden, nur weil sie eine Grenze überschritten haben, um Schutz zu suchen, wie es ihr gesetzliches Recht ist.

Diese Entwicklung geht ebenso mit einer erschreckenden Entmenschlichung von Menschen auf der Flucht einher, was wiederum eine ständige Eskalation des Krieges gegen Migration sowie die Instrumentalisierung von Schutzsuchenden erlaubt. Gerade in unserem Kontext stecken die Menschen im Kreuzfeuer des Konflikts zwischen der EU und der Türkei. Indem wir sie unterstützt haben, haben wir uns bewusst in die gleiche Position gebracht, solange das Risiko ertragbar war. Doch in diesem Jahr und insbesondere in den letzten zwei Monaten haben beide Seiten dieses Konflikts deutlich gemacht, dass es überhaupt keine Gnade mehr für Menschen gibt, die dazwischen feststecken. Wir haben einfach nicht das Mandat und die Mittel, um auf diese neue Eskalationsstufe des Grenzregimes verantwortungsvoll zu reagieren.

Wir wollen eines klarstellen: Europa ist auf dem Weg, nichts Geringeres als seine Demokratie zu zerstören – mit allen festgeschriebenen Grundrechten, für alle.

Fehlende finanzielle Mittel

Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben auch zu einem der Hauptgründe für die Auflösung von Josoor geführt: ein großer Mangel an finanziellen Mitteln. Abgesehen von einer 15.000 € Förderung im Jahr 2020 und 10.000 USD sowie einer Spende von 8.000 GBP im Jahr 2021 haben wir unsere Arbeit immer nur mit kleinen Spenden und aus eigener Tasche finanziert. Es hat nie gereicht. Natürlich geben wir uns viel Mühe bei Förderanträgen und Spendenaktionen. Aber so viele Mittel sind aus dem Feld abgezogen worden, dass die Konkurrenz von Graswurzel-Organisationen, die an ähnlichen Projekten arbeiten, immens ist.

Zudem wurde die Türkei ironischerweise von den meisten Gebern vernachlässigt. Obwohl das Land weltweit die meisten Geflüchteten beherbergt, schließen die meisten Geber:innen es aus ihrem regionalen Fokus aus, da es weder zu Europa noch zum Nahen Osten gezählt wird.

Schließlich disqualifiziert uns auch die Kriminalisierung, der Josoor ausgesetzt war und ist, oft von Förderanträgen.

Wir mussten uns jetzt der Situation stellen, dass wir in ein paar Monaten keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung haben, weder für die Unterstützung von Menschen auf der Flucht, noch zur Bewältigung der Sicherheitsrisiken oder zur Entschädigung von Mitgliedern, von denen die meisten ohnehin ohne jegliche Bezahlung gearbeitet haben.

Psychische Gesundheit 

Die Mehrheit der von uns unterstützten Menschen hat sowohl in ihrem Herkunftsland als auch auf der Flucht mehrere traumatische Erlebnisse durchgemacht. Die meisten Menschen, die wir unterstützen, haben weder die Wahl, in der Türkei zu bleiben oder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, noch eine andere Möglichkeit, die Türkei zu verlassen, als ihr Leben zu riskieren, die Grenzen zu überschreiten und erneut Pushbacks ausgesetzt zu sein. Die zunehmende Gewalt und Demütigung in Pushbacks und das eklatante Fehlen von Betreuungsstrukturen haben (re)traumatisierende Auswirkungen. Der Mangel an rechtlicher Unterstützung, die Täter:innen vor Gericht zu bringen, hinterlässt meist ein enormes Gefühl der Hilflosigkeit angesichts schwerer Ungerechtigkeit. All dies führt zu Chronifizierungen psychischer Störungen. 

Durch die grundlegende Unterstützung von Pushback-Überlebenden und die Dokumentation von Grenzgewalt war unser Team ständig traumatischen Erfahrungen ausgesetzt, die in diesem sich schnell verschlechternden Umfeld zu sekundären Traumatisierungen, Gefühlen der Hilflosigkeit, Depressionen, Angstzuständen und vielem mehr führten. Auch die ständige Ungewissheit durch den unsicheren Status in der Türkei, Finanzierung, Kriminalisierung durch Griechenland und die allgemeine Ohnmacht gegenüber der EU führten zu immer größerer Verzweiflung und Resignation. Bei Andauern dieser Mehrfachbelastung über längere Zeit, wandeln sich die beschriebenen Symptome in chronische Störungen, die einige unserer Teammitglieder seit Langem erleben. Dazu gehören Schlafstörungen, Angst, Stress, Schuldgefühle, Stimmungsschwankungen, Flashbacks sowie ein chronisch überlastetes Nervensystem durch die Arbeit an Notfällen rund um die Uhr.

Auswirkungen der Auflösung

Wir sind uns schmerzlich dessen bewusst, dass das Ende von Josoor auf mehreren Ebenen enorme Auswirkungen haben wird. In erster Linie auf die Menschen, die wir unterstützen und die dort, wo Josoor zwischenzeitig tätig war, wieder eine Lücke finden werden; aber auch auf das gesamte Umfeld.

Auswirkung auf die Menschen, die Josoor unterstützt hat

So sehr wir unser Bestes geben, das Feld möglichst verantwortungsvoll zu verlassen, einschließlich der Vermittlung von uns unterstützten Menschen an andere Organisationen: es ist herzzerreißend, die Reaktionen auf unsere Auflösung mitzuerleben. Eine verwitwete fünffache Mutter, die wir schon seit einiger Zeit unterstützen und noch einige Monate unterstützen werden, brach weinend zusammen und schrie: „Was ist mit all den anderen, die jetzt zurückkommen – es gibt niemanden für sie“.

Die Deckung von Grundbedürfnissen, die Josoor geleistet hat, war essentiell und wird eine Lücke hinterlassen. Aber dies war nicht der wichtigste Verdienst von Josoor für unsere Zielgruppe. Das war immer wieder der Satz, den Menschen nach ihrem ersten Kontakt mit Josoor zu uns sagten: „Wir dachten, es gibt keine Menschlichkeit mehr, und dann haben wir euch gefunden.“ Josoor gab mehr als alles andere Hoffnung, dass es da draußen noch einige Menschen gibt, die sich für grundlegende Menschenrechte einsetzen und dort, wo sie buchstäblich mit Füßen getreten werden, nicht wegschauen.

Auswirkungen auf das Umfeld

Abgesehen von der gravierenden Lücke in der Unterstützung von Pushback- Überlebenden in der Türkei (mit Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, Erster Hilfe und medizinischer Versorgung), reicht die Lücke, die Josoor ursprünglich gefüllt hat, aber nun wieder hinterlassen wird, viel weiter. Sie umfasst den schwerwiegenden Mangel an Beobachtung der Ereignisse an den EU-Außengrenzen zur Türkei, die Einschränkung des Zugangs von internationaler Presse zu Pushback-Überlebenden und Zeug:innen sowie die Analyse von Entwicklungen an diesen Grenzen. Josoors Auflösung erhöht weiterhin den Druck auf die wenigen verbleibenden Organisationen in der Türkei, noch mehr Menschen zu unterstützen – während der Bedarf nach Unterstützung immer größer wird. Darüber hinaus haben unsere langjährigen Freund:innen und Verbündeten des Border Violence Monitoring Network weniger Hände für gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Recherchen und gemeinsame Projekte. Mit der Auflösung von Josoor, der einzigen Partnerorganisation des BVMN auf dieser Seite einer der wichtigsten Grenzen der EU, ist niemand mehr da, um die Gewalt weiterhin zu beobachten. 

Auflösung

Als Resultat der oben beschriebenen Entwicklungen hat Josoor nunmehr offiziell und endgültig jegliche Arbeit eingestellt und ist in sämtlichen Bereichen von Dokumentation der Grenzgewalt, politischer Arbeit, Pressearbeit, bis hin zu Social Media nicht mehr tätig.

Über info@josoor.net sind wir jedoch noch bis zum 1. Oktober erreichbar, bis der Verein offiziell aufgelöst wird.

Fazit

Trotz der enormen Schuldgefühle darüber, diese beängstigende Lücke zu hinterlassen, die bestehen wird, wenn wir gehen, sehen wir die Auflösung von Josoor als die einzig vernünftige Entscheidung, die wir zu diesem Zeitpunkt treffen können. Es ist uns wichtig zu unterstreichen, dass dies nicht nur auf Josoors spezifische Umstände zurückzuführen ist. Es liegt vor allem daran, dass überall dort, wo Menschenrechte systematisch verletzt werden, die verantwortlichen Regierungen alles in ihrer Macht stehende tun werden, um Zeug:innen mundtot zu machen. Auch die Tatsache, dass mit der weit fortgeschrittenen Erosion der Rechtsstaatlichkeit die Arbeit, die wir geleistet haben, nur mehr von jenen Akteur:innen auf verantwortliche Weise durchgeführt werden kann, welche mit dem notwendigem Mandat und der Finanzierung ausgestattet sind, um die Sicherheit für ihre Teams ebenso wie für die Menschen, die diesen schweren systematischen Verletzungen ausgesetzt sind, zu gewährleisten.

Es wäre unser größter Wunsch, dass andere einspringen und die Lücke füllen, die wir 2020 vorgefunden haben und jetzt in unserem dritten Jahr wieder zurücklassen. Aber wir befürchten auch, dass einige, die dies versuchen könnten, sich der großen Risiken nicht bewusst sind, die die Arbeit im Pushback- Bereich und insbesondere in diesem stark vorbelasteten geopolitischen Kontext mit sich bringt. Wir sprechen damit eine Warnung an andere zivilgesellschaftliche Akteur:innen aus, die ein Einschreiten erwägen, sich der verschiedenen Risiken bewusst zu sein, denen sie sich selbst und möglicherweise auch die Menschen aussetzen, die wir alle unterstützen möchten. Wir würden eher dazu raten, sich darauf zu konzentrieren, Druck auf die verantwortlichen supranationalen und globalen Institutionen auszuüben, endlich ihren viel zu lange vernachlässigten Pflichten nachzukommen.

Wir bleiben all unseren Teammitgliedern auf ewig dankbar, ohne deren Arbeit und Engagement für Josoor`s Vision nichts möglich gewesen wäre. Ebenso dankbar sind wir unseren Spender:innen, Anhänger:innen und Partnerorganisationen, die in den letzten zweieinhalb Jahren an unsere Arbeit und unsere Werte geglaubt und diese unterstützt haben. Und schließlich, aber genauso wichtig, danken wir all den Menschen, die wir im Laufe der Jahre unterstützt haben; für ihr Vertrauen in uns, die Lektionen, die sie uns beigebracht haben, und dafür, dass sie einige der intimsten und traumatischsten Momente ihres Lebens in der Hoffnung geteilt haben, dass es helfen könnte, genug Licht auf die schrecklichen Ereignisse zu werfen, die sich jeden Tag an Europas Grenzen abspielen, um dieses brutale, rassistische Regime schließlich und endgültig zu beenden.

Während der Verein in diesem Herbst aufgelöst wird, wird Josoors Vision einer Welt, in der Menschenrechte für jeden Menschen gelten und Solidarität alle Grenzen überschreitet, bestehen bleiben – ebenso wie das Engagement jedes unserer Teammitglieder, die Menschenrechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft , Aussehen, Muttersprache oder Weltanschauung zu verteidigen.

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