Schlaflos

Bis auf die Unterwäsche ausgezogen und zurück in die Türkei geprügelt

Und wieder ein Pushback - ein typisches Beispiel von Grenzgewalt und deren individuellen Konsequenzen

Verprügelt während eines Pushbacks von Bulgarien in die Türkei

Abdulrahman ist ein junger, freundlicher Mann. Vor drei Jahren floh er mit seiner Familie aus Syrien in die Türkei. Seine Familie, das sind sein Vater, seine beiden Brüder, die drei Schwestern, seine Tante und deren kleine Tochter. Seine Mutter ist in Syrien gestorben. Drei Jahre lebten sie in Urfa, einer großen Stadt im Südosten der Türkei gemeinsam in einer Zweizimmerwohnung. Viel Geld hatten sie nie, aber sie kamen über die Runden. Abdulrahman als Ältester, sein Vater und der ältere der beiden jüngeren Brüder arbeiteten in Gelegenheitsjobs auf Baustellen oder reparierten Elektrogeräte. Die älteste Schwester konnte manchmal in einer Schneiderei Arbeit finden.

Doch seit Beginn der Pandemie wurde es immer schwieriger, Aufträge zu bekommen, der Lohn immer geringer, wenn er denn überhaupt ausgezahlt wurde. Die Wirtschaftskrise in der Türkei verschärfte die Situation zusätzlich, bald reichten die mageren Einkünfte nicht mehr, um das Nötigste zu bezahlen. Eigentlich wollte Abdulrahman nicht weg aus der Türkei. Die letzten drei Jahre hatte die Familie nie ernsthaft darüber nachgedacht, weiter nach Europa zu fliehen. Doch die wirtschaftliche Not verschärfte sich immer mehr und schließlich blieb ihm keine Wahl, als die Hoffnung auf eine Arbeitsstelle in Europa, um die zurückbleibende Familie zu unterstützen.

Vor knapp zwei Monaten, Anfang April machten sich Abdulrahman und sein Vater auf den Weg. Die anderen blieben zurück, es wäre zu gefährlich, zu beschwerlich und sowieso viel zu teuer, als dass sie es gemeinsam versuchen könnten. Der Bruder müsse für die Übergangszeit irgendwie versuchen, genug Geld aufzutreiben, um Miete und Lebensmittel bezahlen zu können. Die jüngeren beiden Schwestern, noch Kinder, würden nun auch arbeiten müssen, solange bis Abdulrahman und der Vater endlich Geld schicken könnten.

Sie mussten die Türkei komplett durchqueren, und erreichten nach einigen Tagen schließlich die Grenzstadt Edirne. Von dort aus, so der Plan, wollten sie über Bulgarien in die EU einreisen, und dann weiter. In welchem Land sie landen würden, wäre ihnen egal. Hauptsache sie könnten schnell eine Arbeit finden, die Familie unterstützen und die jungen Geschwister wieder spielen, statt arbeiten lassen. Beim ersten Versuch sahen sie die Grenzpolizisten schon von weitem, und kehrten voller Angst in die Türkei zurück. Sie hatten die Gruselgeschichten gehört, von Menschen, die geschlagen und gedemütigt worden waren und wollten auf keinen Fall das gleiche erleben müssen. Wenige Tage später versuchten sie es erneut, diesmal in einer größeren Gruppe, wieder sahen sie die Autos der Polizei und kehrten um. Beim dritten Versuch schafften sie es ein Stück weiter ins Landesinnere, bis sie vor der Polizei kehrt machten.

Vor dem vierten Versuch nahmen sie sich vor, diesmal nicht umzudrehen, egal was passieren würde. Sie brachen zu zweit auf, liefen nachts über die Grenze und schafften etwa 16 Kilometer, bis sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Zwei Beamte prügeln auf sie ein, mit Ästen und Schlagstöcken. Abdulrahmens Rücken war übersät mit Hämatomen und Schnittverletzungen. Sein Vater hatte zahlreiche offene Wunden an den Beinen und am Rücken. Sie wurden in den Kofferraum eines Autos geladen und zurück an die Grenze verfrachtet, erneut geprügelt und unter Drohungen und Beleidigungen gezwungen, in die Türkei zurück zu kehren.

“Ich hatte so große Angst, wieder geschlagen zu werden. Die Wunden waren noch nicht verheilt, jede Bewegung tat weh. Und doch wussten wir, wir haben keine andere Wahl. Unsere Familie braucht uns. Die Situation ist zu schlecht, wir mussten es erneut versuchen.”

Wenige Tage später versuchten sie es erneut. Diesmal brauchen sie in einer Gruppe von acht Männern auf. Die anderen kamen ebenfalls aus Syrien, auch sie haben Familienangehörige in der Türkei und in Syrien zurückgelassen. Auch sie hatten bereits mehrmals versucht nach Europa zu gelangen und waren zurück-gepushbacked worden. Sie brachen Nachmittags auf Richtung Grenze und kletterten durch ein Loch im Grenzzaun. Nach 14 Kilometern legten sie eine Pause ein. Während sie im Wald schliefen, wurden sie von einem bulgarischen Grenzpolizisten gefunden.

“Er sagte, er habe uns seit vier Stunden gesucht. Er habe unsere Fußspuren auf dem Boden verfolgt. Er beschwerte sich darüber, dass er sich sogar verletzt habe, während er uns durch das Dikicht folgte. Er sah müde aus, also teilten wir unser Wasser und Milch mit ihm. “

Der Beamte forderte die Gruppe auf, mit ihm zu kommen und führte sie 30 Minuten lang durch den Wald. Währenddessen sprach er immer wieder in sein Walkie Talkie, welches die EU-Flagge auf der Rückseite aufgeklebt hatte. Schließlich erreichte die Gruppe die Straße, wo bereits zwei weitere Beamte warteten. Die acht Männer wurden in einen Pick-Up Truck gesperrt.

“Sie fuhren schnell und unvorsichtig für etwa 30 Minuten über unebene, kurvige Straßen. Es gab keine Sitze. Wir waren gequetscht in dem Kofferraum, der eine Fläche von einem Quadratmeter hatte.”

Nachdem sie wieder das Grenzgebiet erreicht hatten, wurden fünf der acht Männer aus dem Auto gezerrt, unter anderem Abdulrahman’s Vater, während er selbst im Auto zurückgelassen wurde. Hinterher berichtete ihm sein Vater, dass sie gezwungen wurden, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Ihnen wurden sämtlich Besitztümer gestohlen, Handys, Powerbanks, Geld - und Kleidung und Schuhe. Sie wurden mit Ästen und Plastikstöcken geschlagen. Anschließend wurden sie, noch immer in Unterwäsche, durch den Grenzzaun geprügelt. Sie mussten unter einer kleinen, inoffiziellen Öffnung im Zaun durchkriechen. Von dort mussten sie etwa fünf Kilometer laufen, bis sie ins nächste Dorf kamen, von wo aus sie ein Taxi nach Edirne nehmen konnten.

In Unterwäsche wurden sie durch den Grenzzaun zurück in die Türkei geprügelt

Abdulrahman und die anderen beiden Männer, die im Auto zurckblieben, wurden noch für weitere 30 Minuten auf der gleichen, holprigen Straße  zu einer anderen Stelle neben dem Grenzzaun gebraucht. Dort wurden sie von drei weiteren bulgarischen Grenzpolizisten erwartet. Auch sie mussten sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Auch ihnen wurde Geld, Handy, Papiere und Schuhe abgenommen. Auch sie wurden mit Ästen und Plastikstöcken auf den Rücken geschlagen, bevor sie durch ein Loch im Zaun zurück in die Türkei geschubst wurden.

In Edirne konnte Abdulrahman zum Glück seinen Vater wiederfinden. Nicht alle Menschen, die während der Pushbacks getrennt werden, finden ihre Angehörigen und Freund*innen anschließend wieder. Zahlreiche Menschen werden vermisst.

Abdulrahman und sein Vater sind noch immer, zwei Wochen nach ihrem letzten Pushback in Edirne. Beide haben noch immer starke Schmerzen von der Brutalität, die sie an der Grenze erfahren haben. Und doch ist ihnen klar, dass sie es wieder versuchen müssen.

“Wir haben keine Wahl. Wenn die Situation für unsere Familie nicht so ausweglos wäre, wären wir gar nicht erst weg gegangen von ihnen. Wenn es anders ginge, würden wir es nicht wieder versuchen.”

Für den Moment müssen sie sich aber erst noch ein bisschen ausruhen und ihre Wunden heilen lassen.

“Mehr habe ich nicht zu sagen, ich erwarte nichts mehr von Europa. Das ist uns passiert, was soll man noch mehr sagen? Wir suchen jetzt nach einem sicheren Weg, irgendwie muss es doch möglich sein, nach Europa zu kommen ohne verprügelt zu werden. Ich kann es nicht ertragen, nochmal so behandelt zu werden. Wir müssen einen sichereren Weg finden, dann gehen wir wieder los.”



Verprügelt während eines Pushbacks von Bulgarien in die Türkei

Abdulrahman ist ein junger, freundlicher Mann. Vor drei Jahren floh er mit seiner Familie aus Syrien in die Türkei. Seine Familie, das sind sein Vater, seine beiden Brüder, die drei Schwestern, seine Tante und deren kleine Tochter. Seine Mutter ist in Syrien gestorben. Drei Jahre lebten sie in Urfa, einer großen Stadt im Südosten der Türkei gemeinsam in einer Zweizimmerwohnung. Viel Geld hatten sie nie, aber sie kamen über die Runden. Abdulrahman als Ältester, sein Vater und der ältere der beiden jüngeren Brüder arbeiteten in Gelegenheitsjobs auf Baustellen oder reparierten Elektrogeräte. Die älteste Schwester konnte manchmal in einer Schneiderei Arbeit finden.

Doch seit Beginn der Pandemie wurde es immer schwieriger, Aufträge zu bekommen, der Lohn immer geringer, wenn er denn überhaupt ausgezahlt wurde. Die Wirtschaftskrise in der Türkei verschärfte die Situation zusätzlich, bald reichten die mageren Einkünfte nicht mehr, um das Nötigste zu bezahlen. Eigentlich wollte Abdulrahman nicht weg aus der Türkei. Die letzten drei Jahre hatte die Familie nie ernsthaft darüber nachgedacht, weiter nach Europa zu fliehen. Doch die wirtschaftliche Not verschärfte sich immer mehr und schließlich blieb ihm keine Wahl, als die Hoffnung auf eine Arbeitsstelle in Europa, um die zurückbleibende Familie zu unterstützen.

Vor knapp zwei Monaten, Anfang April machten sich Abdulrahman und sein Vater auf den Weg. Die anderen blieben zurück, es wäre zu gefährlich, zu beschwerlich und sowieso viel zu teuer, als dass sie es gemeinsam versuchen könnten. Der Bruder müsse für die Übergangszeit irgendwie versuchen, genug Geld aufzutreiben, um Miete und Lebensmittel bezahlen zu können. Die jüngeren beiden Schwestern, noch Kinder, würden nun auch arbeiten müssen, solange bis Abdulrahman und der Vater endlich Geld schicken könnten.

Sie mussten die Türkei komplett durchqueren, und erreichten nach einigen Tagen schließlich die Grenzstadt Edirne. Von dort aus, so der Plan, wollten sie über Bulgarien in die EU einreisen, und dann weiter. In welchem Land sie landen würden, wäre ihnen egal. Hauptsache sie könnten schnell eine Arbeit finden, die Familie unterstützen und die jungen Geschwister wieder spielen, statt arbeiten lassen. Beim ersten Versuch sahen sie die Grenzpolizisten schon von weitem, und kehrten voller Angst in die Türkei zurück. Sie hatten die Gruselgeschichten gehört, von Menschen, die geschlagen und gedemütigt worden waren und wollten auf keinen Fall das gleiche erleben müssen. Wenige Tage später versuchten sie es erneut, diesmal in einer größeren Gruppe, wieder sahen sie die Autos der Polizei und kehrten um. Beim dritten Versuch schafften sie es ein Stück weiter ins Landesinnere, bis sie vor der Polizei kehrt machten.

Vor dem vierten Versuch nahmen sie sich vor, diesmal nicht umzudrehen, egal was passieren würde. Sie brachen zu zweit auf, liefen nachts über die Grenze und schafften etwa 16 Kilometer, bis sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Zwei Beamte prügeln auf sie ein, mit Ästen und Schlagstöcken. Abdulrahmens Rücken war übersät mit Hämatomen und Schnittverletzungen. Sein Vater hatte zahlreiche offene Wunden an den Beinen und am Rücken. Sie wurden in den Kofferraum eines Autos geladen und zurück an die Grenze verfrachtet, erneut geprügelt und unter Drohungen und Beleidigungen gezwungen, in die Türkei zurück zu kehren.

“Ich hatte so große Angst, wieder geschlagen zu werden. Die Wunden waren noch nicht verheilt, jede Bewegung tat weh. Und doch wussten wir, wir haben keine andere Wahl. Unsere Familie braucht uns. Die Situation ist zu schlecht, wir mussten es erneut versuchen.”

Wenige Tage später versuchten sie es erneut. Diesmal brauchen sie in einer Gruppe von acht Männern auf. Die anderen kamen ebenfalls aus Syrien, auch sie haben Familienangehörige in der Türkei und in Syrien zurückgelassen. Auch sie hatten bereits mehrmals versucht nach Europa zu gelangen und waren zurück-gepushbacked worden. Sie brachen Nachmittags auf Richtung Grenze und kletterten durch ein Loch im Grenzzaun. Nach 14 Kilometern legten sie eine Pause ein. Während sie im Wald schliefen, wurden sie von einem bulgarischen Grenzpolizisten gefunden.

“Er sagte, er habe uns seit vier Stunden gesucht. Er habe unsere Fußspuren auf dem Boden verfolgt. Er beschwerte sich darüber, dass er sich sogar verletzt habe, während er uns durch das Dikicht folgte. Er sah müde aus, also teilten wir unser Wasser und Milch mit ihm. “

Der Beamte forderte die Gruppe auf, mit ihm zu kommen und führte sie 30 Minuten lang durch den Wald. Währenddessen sprach er immer wieder in sein Walkie Talkie, welches die EU-Flagge auf der Rückseite aufgeklebt hatte. Schließlich erreichte die Gruppe die Straße, wo bereits zwei weitere Beamte warteten. Die acht Männer wurden in einen Pick-Up Truck gesperrt.

“Sie fuhren schnell und unvorsichtig für etwa 30 Minuten über unebene, kurvige Straßen. Es gab keine Sitze. Wir waren gequetscht in dem Kofferraum, der eine Fläche von einem Quadratmeter hatte.”

Nachdem sie wieder das Grenzgebiet erreicht hatten, wurden fünf der acht Männer aus dem Auto gezerrt, unter anderem Abdulrahman’s Vater, während er selbst im Auto zurückgelassen wurde. Hinterher berichtete ihm sein Vater, dass sie gezwungen wurden, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Ihnen wurden sämtlich Besitztümer gestohlen, Handys, Powerbanks, Geld - und Kleidung und Schuhe. Sie wurden mit Ästen und Plastikstöcken geschlagen. Anschließend wurden sie, noch immer in Unterwäsche, durch den Grenzzaun geprügelt. Sie mussten unter einer kleinen, inoffiziellen Öffnung im Zaun durchkriechen. Von dort mussten sie etwa fünf Kilometer laufen, bis sie ins nächste Dorf kamen, von wo aus sie ein Taxi nach Edirne nehmen konnten.

In Unterwäsche wurden sie durch den Grenzzaun zurück in die Türkei geprügelt

Abdulrahman und die anderen beiden Männer, die im Auto zurckblieben, wurden noch für weitere 30 Minuten auf der gleichen, holprigen Straße  zu einer anderen Stelle neben dem Grenzzaun gebraucht. Dort wurden sie von drei weiteren bulgarischen Grenzpolizisten erwartet. Auch sie mussten sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Auch ihnen wurde Geld, Handy, Papiere und Schuhe abgenommen. Auch sie wurden mit Ästen und Plastikstöcken auf den Rücken geschlagen, bevor sie durch ein Loch im Zaun zurück in die Türkei geschubst wurden.

In Edirne konnte Abdulrahman zum Glück seinen Vater wiederfinden. Nicht alle Menschen, die während der Pushbacks getrennt werden, finden ihre Angehörigen und Freund*innen anschließend wieder. Zahlreiche Menschen werden vermisst.

Abdulrahman und sein Vater sind noch immer, zwei Wochen nach ihrem letzten Pushback in Edirne. Beide haben noch immer starke Schmerzen von der Brutalität, die sie an der Grenze erfahren haben. Und doch ist ihnen klar, dass sie es wieder versuchen müssen.

“Wir haben keine Wahl. Wenn die Situation für unsere Familie nicht so ausweglos wäre, wären wir gar nicht erst weg gegangen von ihnen. Wenn es anders ginge, würden wir es nicht wieder versuchen.”

Für den Moment müssen sie sich aber erst noch ein bisschen ausruhen und ihre Wunden heilen lassen.

“Mehr habe ich nicht zu sagen, ich erwarte nichts mehr von Europa. Das ist uns passiert, was soll man noch mehr sagen? Wir suchen jetzt nach einem sicheren Weg, irgendwie muss es doch möglich sein, nach Europa zu kommen ohne verprügelt zu werden. Ich kann es nicht ertragen, nochmal so behandelt zu werden. Wir müssen einen sichereren Weg finden, dann gehen wir wieder los.”



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