Schlaflos

Die Absurdität der Pushbacks

Odai, anerkannter Geflüchteter in Deutschland, wurde illegalerweise von Griechenland in die Türkei abgeschoben, während er seinen Bruder besuchte

Pushbacks geschehen nicht nur unmittelbar an den Grenzen der Europäischen Union. Auch in Camps und Städten in Griechenland werden regelmäßig Menschen von der Polizei aufgegriffen und illegalerweise in die Türkei deportiert. Auch finden Pushbacks seit über einem Jahr extrem häufig statt, doch das Phänomen ist nichts neues.

Der Fall von Odai illustriert  die Absurdität der rassistischen und menschenverachtenden Praktik. Odai ist ein junger Mann aus Syrien. Er floh vor 4 Jahren, kam in Deutschland an und erhielt dort den Flüchtlingsstatus und eine Aufenthaltsbescheinigung für drei Jahre. Er begann sein Leben in Deutschland, schloss Freundschaften, erreichte das B2-Deutschlevel und besuchte eine Realschule.

Seine Familie lebte noch immer in Syrien. Nach zwei Jahren musste sein jüngerer Bruder ebenfalls fliehen, um nicht zum Militärdienst gezwungen zu werden. Er schaffte es bis nach Griechenland. Odey war überglücklich. Endlich würde er seinen Bruder nach sechs Jahren wiedersehen können! Seine deutschen Ausweispapiere erlaubten ihm, legal nach Griechenland einzureisen. So flog er im Mai 2019 von München nach Thessaloniki. Sein Bruder war seit drei Tagen in der Stadt und erwartete ihn mit zwei Freunden an der zentralen Busstation. Die Bruder fielen sich in die Arme. Er hatte seinen Bruder das letzte Mal gesehen, als dieser 10 Jahre alt war. Er beschrieb den Moment des Wiedersehens:

“Es war als würde die Zeit still stehen, all die Jahre fielen von uns ab, ich konnte nur Ihn sehen und nicht glauben, dass er wirklich vor mir stand.”  

Doch die Wiedersehensfreude wurde ihnen schnell genommen. Noch an der Busstation, die Bruder hatten kaum ein paar Worte miteinander wechseln können, da wurden sie von zahlreichen Polizist*innen umstellt. Odey war der Einzige der Gruppe, der einen Pass vorzeigen konnte. Und der Einzige, dem die Polizei eben diesen Pass abnehmen konnte. Gewaltvoll drängten sie die vier jungen Männer, drei von ihnen sechzehn Jahre alt, in einen weißen Minivan.

“Es gab keine SItze, aber einen Hund”, erinnert sich Odey. “Ich versuchte mit ihnen in Deutsch zu sprechen, aber sie verstanden mich nicht. Dann versuchte ich es in Englisch, aber der Polizist schrie mich nur an und man brachte uns in ein Gefängnis”.  

Dort wurden sie einen Tag festgehalten, ohne Zugang zu Essen, Wasser und Toiletten. Am nächsten Tag kam ein anderer Polizist, der die Gruppe darüber informierte, dass man sie “zurück” in die Türkei bringen würde. Erneut wurden sie in ein Auto verfrachtet, gemeinsam mit sechs anderen Menschen. So wurden sie 8 Stunden Richtung Türkei gefahren, bis sie eine grenznahe Stadt erreichten und dort erneut einen Tag eingesperrt wurden.

“Dann kam ein griechischer Polizist und nahm uns unser Geld, und unsere Handys und Dokumente ab. Vier Soldaten brachten uns zur Grenze und saßen mit uns im Boot über den Grenzfluss. Wir erreichten die Türkei am 05.05.2019.”

Kurz nach der unfreiwilligen Ankunft in der Türkei wurden sie von türkischen Polizist*innen verhaftet und für 10 Monate inhaftiert. Beschuldigt wurden sie des illegalen Grenzübertritts und der Spionage für Griechenland. Als im März 2020 die türkische Grenze zu Griechenland geöffnet wurde, wurden sie gemeinsam mit allen Gefangenen unterschiedlichster Nationalitäten aus dem Gefängnis freigelassen, und nach Edirne gebracht. Dort trafen wir Odai. Doch wie wir damals auf unserem Blog berichteten, wurden alle Menschen dort unter unwürdigen Bedingungen im Niemandsland festgehalten, von der Türkei Richtung Griechenland gedrängt und von Griechenland gewaltsam zurück gepushbacked.

So strandeten Odai und sein Bruder schließlich in Istanbul. Vergeblich versuchte er immer wieder, einen Termin bei der Deutschen Botschaft zu bekommen, doch vergeblich. Da er keine Ausweisdokumente vorweisen konnte - seine Dokumente aus Deutschland waren ihm ja abgenommen worden und in der Türkei konnte er sich nicht registrieren, aus Angst vor einer Abschiebung nach Syrien - konnte er auch keinen Termin bekommen, um seine Rückkehr nach Deutschland zu beantragen. Schließlich konnten wir ihm eine Anwältin organisieren. Im Juni 2020 begann sie, die Ausländerbehörde zu kontaktieren, erhielt seine deutschen Dokumente und er konnte endlich, im August 2020 einen Termin bei der Deutschen Botschaft vereinbaren. Dort wurde ihm gesagt, dass sein Antrag auf die Ausstellung eines Einreisevisas und Ersatzpasses geprüft würde. Zeitgleich informierte uns die Anwältin darüber, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mittlerweile ein Widerrufsverfahren eingeleitet habe, da Odai seinen Schutzstatus in Deutschland nicht verlängern hatte lassen und “freiwillig” ausgereist sei. Wir bangten also darum, ob sein Asylstatus aufgehoben werden würde und wir dagegen klagen müssten. Erneut verstrichen einige Monate, in denen Odai in der Türkei ausharren musste, bis schließlich die gute Nachricht eintraf, dass das Widerrufsverfahren eingestellt wurde, und er ein Visum ausgestellt bekommen würde. Im Januar 2021 konnte er endlich nach Deutschland zurückkehren. Sein Bruder sitzt nachwievor in der Türkei fest.

Schicksale wie Odai’s sind keine Einzelvorfälle. Ohne anwaltliche Hilfe wäre Odai noch immer in der Türkei. Deutschland hat sich in keinster Weise dafür eingesetzt, ihn zurück holen zu lassen - sondern ließ stattdessen beinah die Folgen des Pushbacks dauerhaft werden.



Pushbacks geschehen nicht nur unmittelbar an den Grenzen der Europäischen Union. Auch in Camps und Städten in Griechenland werden regelmäßig Menschen von der Polizei aufgegriffen und illegalerweise in die Türkei deportiert. Auch finden Pushbacks seit über einem Jahr extrem häufig statt, doch das Phänomen ist nichts neues.

Der Fall von Odai illustriert  die Absurdität der rassistischen und menschenverachtenden Praktik. Odai ist ein junger Mann aus Syrien. Er floh vor 4 Jahren, kam in Deutschland an und erhielt dort den Flüchtlingsstatus und eine Aufenthaltsbescheinigung für drei Jahre. Er begann sein Leben in Deutschland, schloss Freundschaften, erreichte das B2-Deutschlevel und besuchte eine Realschule.

Seine Familie lebte noch immer in Syrien. Nach zwei Jahren musste sein jüngerer Bruder ebenfalls fliehen, um nicht zum Militärdienst gezwungen zu werden. Er schaffte es bis nach Griechenland. Odey war überglücklich. Endlich würde er seinen Bruder nach sechs Jahren wiedersehen können! Seine deutschen Ausweispapiere erlaubten ihm, legal nach Griechenland einzureisen. So flog er im Mai 2019 von München nach Thessaloniki. Sein Bruder war seit drei Tagen in der Stadt und erwartete ihn mit zwei Freunden an der zentralen Busstation. Die Bruder fielen sich in die Arme. Er hatte seinen Bruder das letzte Mal gesehen, als dieser 10 Jahre alt war. Er beschrieb den Moment des Wiedersehens:

“Es war als würde die Zeit still stehen, all die Jahre fielen von uns ab, ich konnte nur Ihn sehen und nicht glauben, dass er wirklich vor mir stand.”  

Doch die Wiedersehensfreude wurde ihnen schnell genommen. Noch an der Busstation, die Bruder hatten kaum ein paar Worte miteinander wechseln können, da wurden sie von zahlreichen Polizist*innen umstellt. Odey war der Einzige der Gruppe, der einen Pass vorzeigen konnte. Und der Einzige, dem die Polizei eben diesen Pass abnehmen konnte. Gewaltvoll drängten sie die vier jungen Männer, drei von ihnen sechzehn Jahre alt, in einen weißen Minivan.

“Es gab keine SItze, aber einen Hund”, erinnert sich Odey. “Ich versuchte mit ihnen in Deutsch zu sprechen, aber sie verstanden mich nicht. Dann versuchte ich es in Englisch, aber der Polizist schrie mich nur an und man brachte uns in ein Gefängnis”.  

Dort wurden sie einen Tag festgehalten, ohne Zugang zu Essen, Wasser und Toiletten. Am nächsten Tag kam ein anderer Polizist, der die Gruppe darüber informierte, dass man sie “zurück” in die Türkei bringen würde. Erneut wurden sie in ein Auto verfrachtet, gemeinsam mit sechs anderen Menschen. So wurden sie 8 Stunden Richtung Türkei gefahren, bis sie eine grenznahe Stadt erreichten und dort erneut einen Tag eingesperrt wurden.

“Dann kam ein griechischer Polizist und nahm uns unser Geld, und unsere Handys und Dokumente ab. Vier Soldaten brachten uns zur Grenze und saßen mit uns im Boot über den Grenzfluss. Wir erreichten die Türkei am 05.05.2019.”

Kurz nach der unfreiwilligen Ankunft in der Türkei wurden sie von türkischen Polizist*innen verhaftet und für 10 Monate inhaftiert. Beschuldigt wurden sie des illegalen Grenzübertritts und der Spionage für Griechenland. Als im März 2020 die türkische Grenze zu Griechenland geöffnet wurde, wurden sie gemeinsam mit allen Gefangenen unterschiedlichster Nationalitäten aus dem Gefängnis freigelassen, und nach Edirne gebracht. Dort trafen wir Odai. Doch wie wir damals auf unserem Blog berichteten, wurden alle Menschen dort unter unwürdigen Bedingungen im Niemandsland festgehalten, von der Türkei Richtung Griechenland gedrängt und von Griechenland gewaltsam zurück gepushbacked.

So strandeten Odai und sein Bruder schließlich in Istanbul. Vergeblich versuchte er immer wieder, einen Termin bei der Deutschen Botschaft zu bekommen, doch vergeblich. Da er keine Ausweisdokumente vorweisen konnte - seine Dokumente aus Deutschland waren ihm ja abgenommen worden und in der Türkei konnte er sich nicht registrieren, aus Angst vor einer Abschiebung nach Syrien - konnte er auch keinen Termin bekommen, um seine Rückkehr nach Deutschland zu beantragen. Schließlich konnten wir ihm eine Anwältin organisieren. Im Juni 2020 begann sie, die Ausländerbehörde zu kontaktieren, erhielt seine deutschen Dokumente und er konnte endlich, im August 2020 einen Termin bei der Deutschen Botschaft vereinbaren. Dort wurde ihm gesagt, dass sein Antrag auf die Ausstellung eines Einreisevisas und Ersatzpasses geprüft würde. Zeitgleich informierte uns die Anwältin darüber, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mittlerweile ein Widerrufsverfahren eingeleitet habe, da Odai seinen Schutzstatus in Deutschland nicht verlängern hatte lassen und “freiwillig” ausgereist sei. Wir bangten also darum, ob sein Asylstatus aufgehoben werden würde und wir dagegen klagen müssten. Erneut verstrichen einige Monate, in denen Odai in der Türkei ausharren musste, bis schließlich die gute Nachricht eintraf, dass das Widerrufsverfahren eingestellt wurde, und er ein Visum ausgestellt bekommen würde. Im Januar 2021 konnte er endlich nach Deutschland zurückkehren. Sein Bruder sitzt nachwievor in der Türkei fest.

Schicksale wie Odai’s sind keine Einzelvorfälle. Ohne anwaltliche Hilfe wäre Odai noch immer in der Türkei. Deutschland hat sich in keinster Weise dafür eingesetzt, ihn zurück holen zu lassen - sondern ließ stattdessen beinah die Folgen des Pushbacks dauerhaft werden.



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