Schlaflos

“Ein Freund gibt dich nicht auf und lässt dich nicht im Stich”.

Die Rolle von Freundschaft im Kontext der europäischen Grenzgewalt

Rakan*, ein junger Mann aus Syrien, erzählt anlässlich des internationalen Tags der Freundschaft, welche Rolle Freundschaft im Kontext der europäischen Grenzgewalt und Pushbacks spielt. Er hat in den letzten zwei Monaten drei Mal versucht, nach Griechenland zu gelangen, und wurde jedes Mal auf gewaltsame Weise zurück gepushbacked. Jeden Versuch wagte er mit seinen vier Freunden, teilweise waren noch andere Menschen in der Gruppe dabei. Die Fünf kennen sich seit mehreren Jahren. Sie haben sich in der Türkei kennengelernt und teilen die Erfahrungen des Alltags in der Türkei, geprägt von Rassismus, Diskriminierung und Entbehrung. 


Rakan ist 2018 aus Rakka in Syrien geflohen, eine Stadt, die vollständig durch den IS zerstört wurde. Seitdem lebte er mit seiner Mutter und Bruder in Istanbul und arbeitete gleichzeitig in einer Schneiderei und einem Tischlerbetrieb, um genügend Geld für Essen und Miete aufbringen zu können. Er erzählt:


“Die finanziellen Schwierigkeiten waren nicht das Problem für mich und nicht der Grund, warum ich die Türkei verlassen will. Vielmehr belastet mich der ständige Rassismus. Als Syrer*innen werden wir nicht als gleichwertig gesehen, ständig werden wir diskriminiert. Wir haben schlechte Chancen bei der Arbeits- oder Wohnungssuche, wir werden einfach nicht als gleichwertige Menschen mit gleichen Rechten gesehen.” 


Deshalb machte sich Rakan gemeinsam mit seinen Freunden auf den Weg an die griechische Grenze. Er berichtet: 


“Das erste Mal sind wir einen Tag lang gelaufen, dann wurden wir gefangen genommen, es waren wir vier Freunde, noch 4 weitere Bekannte und eine Familie mit kleinen Kindern. Wir alle bekamen die Handys und Rucksäcke abgenommen, ebenso wie Geld und Kleidung. Wir wurden 12 Stunden im Gefängnis inhaftiert und dort brutal geschlagen. Es war kein menschliches Verhalten, absolut nicht. Sie behandelten uns auf eine Art, die Tieren unwürdig wäre. Alle Beamt*innen trugen Masen und man konnte nur ihre bösen Augen sehen, während man geschlagen wurde.” 


Beim zweiten Versuch wurden sie auf einer der Inseln im Grenzfluss Evros ausgesetzt, erneut ohne Kleidung und Schuhe. In Unterwäsche mussten sie durch den Fluss schwimmen, um zurück auf die türkische Seite zu gelangen. 


Das dritte Mal sei vor etwa 20 Tagen gewesen, Rakan weint, während er davon erzählt. Der Plan war, in ein Flüchtlingscamp nahe der türkischen Grenze zu gelangen. Erneut waren es die fünf Freunde, diesmal noch mit zwei Familien, welche sie in Edirne kennengelernt hatten. Um drei Uhr nachts, kurz bevor sie das Camp erreicht hätten, wurden sie entdeckt und gefangen genommen. Erneut wurden alle Habseligkeiten gestohlen durch die griechischen Beamt*innen, und 


“alle geschlagen, auch die Frauen, Alte und Junge, sogar die Kinder.”


Sie wurden hintereinander in einen engen Kofferraum gestoßen, und wurden über eine Holperpiste gefahren, in dem Auto habe es kaum Luft zum Atmen gegeben, erzählt Rakan. Nach etwa vier Kilometern habe das Auto erneut angehalten und alle wurden der Reihe nach einzeln aus dem Kofferraum geholt, geschlagen und ausgezogen, dann zur Seite gestellt, um zuschauen zu müssen, wie die anderen geschlagen wurden. Als die Beamt*innen alle verletzt hatten, wurden sie zurück ins Auto gezwängt und in ein Gefängnis gebracht. Mehrmals baten sie die griechische Polizei um Wasser: “Bitte, bitte gibt uns Wasser!”, doch es erfolgte weder eine Antwort, noch erhielten sie Wasser, Essen oder den Zugang zu einer Toilette. In dem Gefängnis waren bereits zahlreiche Menschen, den ganzen Tag über wurden Neue dorthin gebracht. Nach einem Tag wurden etwa 150 Menschen, auch Kinder, in Militärautos verfrachtet. Rakan beschreibt die Ereignisse so:   


“Sie haben 50-55 Leute in ein Auto übereinander gestapelt, ich dachte ich muss ersticken. Man konnte nicht atmen, sich nicht bewegen. 45 Minuten wurden wir so gefahren, dann kamen wir am Grenzfluss an. Dort wurden wir erneut einzeln aus dem Auto gelassen und schon wieder geschlagen. Sie durchsuchten alle Leute, ob irgendwer es geschafft hatte, Geld, Handys oder Dokumente irgendwo zu verstecken. Auch mussten wir alle unsere Schuhe ausziehen. Dann wurden wir in die Boote gezwungen, 12 Leute pro Boot, auch wenn eigentlich nur sechs reinpassen. Ein Boot neben dem unseren kenterte, doch niemand reagierte - wir schrien, dass sie den Familien im Wasser helfen müssen, doch es hieß nur, wer ins Wasser fällt, muss eben schwimmen. Wir wurden dann in der Mitte des Flusses im Boot zurück  gelassen. Das Wasser dort war hüfthoch und wir konnten durch den Fluss zurück in die Türkei laufen.”


Jetzt ist Rakan wieder in Edirne, gemeinsam mit seinen Freunden haben sie eine Unterkunft gefunden und warten darauf, dass es irgendwann einen sicheren Weg nach Europa gibt. Momentan helfen sie dem Team von Josoor vor Ort beim Übersetzen und Verteilen von Lebensmitteln an die Menschen, die dort stranden. 


Zwei von ihnen haben es noch einmal über die bulgarische Grenze versucht. Bei ihrer Rückkehr erzählten sie Rakan von der Polizei dort und den Attacken der Polizeihunde. Rakan könne nicht mehr, er habe zu viel körperliche und psychische Folter durch Europa ertragen müssen. 


“Wir hatten die Hoffnung, dass Europa humaner ist und die Menschenrechte achtet. Wir wollten aus der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Diskriminierung entkommen, aber es wurde nur immer schlimmer, keiner gewährt uns unsere Rechte.”


Er ist froh, dass er seine Freunde um sich hat. Er beschreibt, wie die Gewalt durch Europa Menschen zerbrechen kann, wie so viele psychisch verzweifeln. Doch Rakan beschreibt auch die große Solidarität und den Zusammenhalt untereinander. Wasser und Essen werde geteilt, auch im Gefängnis in Griechenland haben diejenigen, die etwas verstecken konnten vor der Polizei, ihr Wasser und Essen mit den Menschen um sie herum geteilt. Man tausche sich gegenseitig aus über die Erlebnisse, warne andere davor, was sie während der Pushbacks erwarte. Rakan ist der Meinung, dass es am besten ist, die Flucht nach Europa mit engen Freunden zu versuchen, damit man auf dem Weg nicht verzweifelt und aufgibt- weil


“ein Freund dich nicht aufgibt und zurück lässt”.


Am besten sei es mit engen Freunden, sowie seine, die er gut kennt und auf die er sich immer verlassen kann und ihnen vertraut, auch in Extremsituationen. Es helfe, die Erfahrungen gemeinsam gemacht zu haben, sich gegenseitig Mut und Trost zuzusprechen, um das Trauma zu verarbeiten.


“Wir alle sind psychisch am Ende, wir sind fertig. Und es ist gut, dass wir uns haben, um darüber zu reden und nicht allein zu sein mit unserem Schmerz”.


Rakan fordert Europa auf, hinzugucken:


“Guckt hin, was hier passiert. Ihr müsst den Menschen helfen. Die EU sagt, sie handle nach Menschlichkeit und Rechtmäßigkeit. Ich wünsche mir, dass ihr hinguckt. Vielleicht wissen viele nicht, welche Horror und Gewalt an der Grenze passieren, aber ich wünsche mir, dass die Menschen in Europa aufmerksam werden und helfen.”
Verletzungen des Befragten



Rakan*, ein junger Mann aus Syrien, erzählt anlässlich des internationalen Tags der Freundschaft, welche Rolle Freundschaft im Kontext der europäischen Grenzgewalt und Pushbacks spielt. Er hat in den letzten zwei Monaten drei Mal versucht, nach Griechenland zu gelangen, und wurde jedes Mal auf gewaltsame Weise zurück gepushbacked. Jeden Versuch wagte er mit seinen vier Freunden, teilweise waren noch andere Menschen in der Gruppe dabei. Die Fünf kennen sich seit mehreren Jahren. Sie haben sich in der Türkei kennengelernt und teilen die Erfahrungen des Alltags in der Türkei, geprägt von Rassismus, Diskriminierung und Entbehrung. 


Rakan ist 2018 aus Rakka in Syrien geflohen, eine Stadt, die vollständig durch den IS zerstört wurde. Seitdem lebte er mit seiner Mutter und Bruder in Istanbul und arbeitete gleichzeitig in einer Schneiderei und einem Tischlerbetrieb, um genügend Geld für Essen und Miete aufbringen zu können. Er erzählt:


“Die finanziellen Schwierigkeiten waren nicht das Problem für mich und nicht der Grund, warum ich die Türkei verlassen will. Vielmehr belastet mich der ständige Rassismus. Als Syrer*innen werden wir nicht als gleichwertig gesehen, ständig werden wir diskriminiert. Wir haben schlechte Chancen bei der Arbeits- oder Wohnungssuche, wir werden einfach nicht als gleichwertige Menschen mit gleichen Rechten gesehen.” 


Deshalb machte sich Rakan gemeinsam mit seinen Freunden auf den Weg an die griechische Grenze. Er berichtet: 


“Das erste Mal sind wir einen Tag lang gelaufen, dann wurden wir gefangen genommen, es waren wir vier Freunde, noch 4 weitere Bekannte und eine Familie mit kleinen Kindern. Wir alle bekamen die Handys und Rucksäcke abgenommen, ebenso wie Geld und Kleidung. Wir wurden 12 Stunden im Gefängnis inhaftiert und dort brutal geschlagen. Es war kein menschliches Verhalten, absolut nicht. Sie behandelten uns auf eine Art, die Tieren unwürdig wäre. Alle Beamt*innen trugen Masen und man konnte nur ihre bösen Augen sehen, während man geschlagen wurde.” 


Beim zweiten Versuch wurden sie auf einer der Inseln im Grenzfluss Evros ausgesetzt, erneut ohne Kleidung und Schuhe. In Unterwäsche mussten sie durch den Fluss schwimmen, um zurück auf die türkische Seite zu gelangen. 


Das dritte Mal sei vor etwa 20 Tagen gewesen, Rakan weint, während er davon erzählt. Der Plan war, in ein Flüchtlingscamp nahe der türkischen Grenze zu gelangen. Erneut waren es die fünf Freunde, diesmal noch mit zwei Familien, welche sie in Edirne kennengelernt hatten. Um drei Uhr nachts, kurz bevor sie das Camp erreicht hätten, wurden sie entdeckt und gefangen genommen. Erneut wurden alle Habseligkeiten gestohlen durch die griechischen Beamt*innen, und 


“alle geschlagen, auch die Frauen, Alte und Junge, sogar die Kinder.”


Sie wurden hintereinander in einen engen Kofferraum gestoßen, und wurden über eine Holperpiste gefahren, in dem Auto habe es kaum Luft zum Atmen gegeben, erzählt Rakan. Nach etwa vier Kilometern habe das Auto erneut angehalten und alle wurden der Reihe nach einzeln aus dem Kofferraum geholt, geschlagen und ausgezogen, dann zur Seite gestellt, um zuschauen zu müssen, wie die anderen geschlagen wurden. Als die Beamt*innen alle verletzt hatten, wurden sie zurück ins Auto gezwängt und in ein Gefängnis gebracht. Mehrmals baten sie die griechische Polizei um Wasser: “Bitte, bitte gibt uns Wasser!”, doch es erfolgte weder eine Antwort, noch erhielten sie Wasser, Essen oder den Zugang zu einer Toilette. In dem Gefängnis waren bereits zahlreiche Menschen, den ganzen Tag über wurden Neue dorthin gebracht. Nach einem Tag wurden etwa 150 Menschen, auch Kinder, in Militärautos verfrachtet. Rakan beschreibt die Ereignisse so:   


“Sie haben 50-55 Leute in ein Auto übereinander gestapelt, ich dachte ich muss ersticken. Man konnte nicht atmen, sich nicht bewegen. 45 Minuten wurden wir so gefahren, dann kamen wir am Grenzfluss an. Dort wurden wir erneut einzeln aus dem Auto gelassen und schon wieder geschlagen. Sie durchsuchten alle Leute, ob irgendwer es geschafft hatte, Geld, Handys oder Dokumente irgendwo zu verstecken. Auch mussten wir alle unsere Schuhe ausziehen. Dann wurden wir in die Boote gezwungen, 12 Leute pro Boot, auch wenn eigentlich nur sechs reinpassen. Ein Boot neben dem unseren kenterte, doch niemand reagierte - wir schrien, dass sie den Familien im Wasser helfen müssen, doch es hieß nur, wer ins Wasser fällt, muss eben schwimmen. Wir wurden dann in der Mitte des Flusses im Boot zurück  gelassen. Das Wasser dort war hüfthoch und wir konnten durch den Fluss zurück in die Türkei laufen.”


Jetzt ist Rakan wieder in Edirne, gemeinsam mit seinen Freunden haben sie eine Unterkunft gefunden und warten darauf, dass es irgendwann einen sicheren Weg nach Europa gibt. Momentan helfen sie dem Team von Josoor vor Ort beim Übersetzen und Verteilen von Lebensmitteln an die Menschen, die dort stranden. 


Zwei von ihnen haben es noch einmal über die bulgarische Grenze versucht. Bei ihrer Rückkehr erzählten sie Rakan von der Polizei dort und den Attacken der Polizeihunde. Rakan könne nicht mehr, er habe zu viel körperliche und psychische Folter durch Europa ertragen müssen. 


“Wir hatten die Hoffnung, dass Europa humaner ist und die Menschenrechte achtet. Wir wollten aus der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Diskriminierung entkommen, aber es wurde nur immer schlimmer, keiner gewährt uns unsere Rechte.”


Er ist froh, dass er seine Freunde um sich hat. Er beschreibt, wie die Gewalt durch Europa Menschen zerbrechen kann, wie so viele psychisch verzweifeln. Doch Rakan beschreibt auch die große Solidarität und den Zusammenhalt untereinander. Wasser und Essen werde geteilt, auch im Gefängnis in Griechenland haben diejenigen, die etwas verstecken konnten vor der Polizei, ihr Wasser und Essen mit den Menschen um sie herum geteilt. Man tausche sich gegenseitig aus über die Erlebnisse, warne andere davor, was sie während der Pushbacks erwarte. Rakan ist der Meinung, dass es am besten ist, die Flucht nach Europa mit engen Freunden zu versuchen, damit man auf dem Weg nicht verzweifelt und aufgibt- weil


“ein Freund dich nicht aufgibt und zurück lässt”.


Am besten sei es mit engen Freunden, sowie seine, die er gut kennt und auf die er sich immer verlassen kann und ihnen vertraut, auch in Extremsituationen. Es helfe, die Erfahrungen gemeinsam gemacht zu haben, sich gegenseitig Mut und Trost zuzusprechen, um das Trauma zu verarbeiten.


“Wir alle sind psychisch am Ende, wir sind fertig. Und es ist gut, dass wir uns haben, um darüber zu reden und nicht allein zu sein mit unserem Schmerz”.


Rakan fordert Europa auf, hinzugucken:


“Guckt hin, was hier passiert. Ihr müsst den Menschen helfen. Die EU sagt, sie handle nach Menschlichkeit und Rechtmäßigkeit. Ich wünsche mir, dass ihr hinguckt. Vielleicht wissen viele nicht, welche Horror und Gewalt an der Grenze passieren, aber ich wünsche mir, dass die Menschen in Europa aufmerksam werden und helfen.”
Verletzungen des Befragten



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