Schlaflos

“Es gibt keinen Weg mehr für mich - ich bin fertig”

Wie die Festung Europa die psychische Gesundheit von Schutzsuchenden strapaziert

Triggerwarnung: der Inhalt des folgenden Text kann für manche Menschen belastend sein


Die Abschottungspolitik Europas gefährdet nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit von Schutzsuchenden. Menschen, die versuchen nach Europa zu gelangen, sind in einem Schwebezustand gefangen, ohne jemals ankommen und zur Ruhe kommen zu können. Zahlreiche geflüchtete Personen in der Türkei leben in einem Alltag geprägt von Gewalt, Hoffnung- und Perspektivlosigkeit. Sie versuchen immer wieder, die Grenze zu  Griechenland oder Bulgarien zu überqueren, überleben wieder und wieder Pushbacks, kommen erneut in der Türkei an, und werden in diesem nie enden wollenden Kreislauf zermürbt. Doch die systematische Abschottung und Diskriminierung findet nicht nur an den Grenzen direkt statt. Selbst im “besten” Fall, wenn jemand es schafft, nach Griechenland zu kommen, ohne zurück gepushed zu werden, folgt ein monatelanges Warten auf das Interview im Asylverfahren, den Asylbescheid, die Anerkennung oder Ablehnung als Geflüchtete*r, anschließende Einsprüche und Beschwerden, oder erneutes Warten auf den Erhalt der Ausweisdokumente. Dasselbe passiert in Nord- und Westeuropa. Selbst wenn es jemand all der Pushbacks zum trotz schafft, in ein europäisches Land zu gelangen und einen Asylantrag zu stellen, droht oft weiterhin eine Abschiebung - oft auch bei eindeutig vorliegenden Fluchtgründen. Selbst nach Jahren in Europa können die Menschen nicht vollständig ankommen. Das systematische Entwerten und Absprechen von fundamentalen Rechten und Freiheiten zur Lebensgestaltung ist eine ständige Dauerbelastung für die betroffenen Individuen.

Die europäische Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik zwingt damit unzähligen Menschen Umstände und Lebensrealitäten auf, welche die Entwicklung von psychischen Störungen und psychosomatischen Symptomen unausweichlich machen.

Beispielhaft ist hierfür die Geschichte von Mundir, einem jungen Mann aus Marokko. Er kam 2015 nach Deutschland. Er lernte ohne offizielle Kurse fließend Deutsch, fand einen Freund*innenkreis, der seine Familie ersetzte, und baute sich ein neues Leben auf. Er fand die Liebe seines Lebens, sie zogen zusammen. 2019, nach vier Jahren, kam der Abschiebebescheid. Geschockt rieten Mundirs Freund*innen ihm, unterzutauchen. Doch er wollte nicht in die Illegalität abrutschen, und er wollte seine Freundin nicht verlassen. Innerlich zerrissen wurde er schließlich nach Marokko abgeschoben. Nur einen Monat später hielt er es nicht mehr aus. Er verließ Marokko abermals, ist seitdem in der Türkei und versucht seit über einem Jahr wieder und wieder, nach Europa zu gelangen. Er hat zahlreiche Pushbacks erlebt. Am Meer, und am Land. Von Griechenland in die Türkei, von Bulgarien in die Türkei, von Bulgarien nach Griechenland und dann von dort in die Türkei.


Diese Erfahrungen, gemeinsam mit der Perspektivlosigkeit haben ihn zutiefst geprägt


“Hallo, wie gehts dir, ist alles gut bei dir? Wie gehts Mama, Papa, und Familie? Alles in Ordnung?
Ich weiß nicht mehr… alles fuckt mich ab, wirklich ja… Ich bin seit einem Jahr hier, ich hab versucht nach Griechenland reinzukommen… Aber klappt nicht. Klappt nicht bei mir ehrlich, ich bin verflucht oder keine Ahnung… Seit einem Jahr und ich bin immer noch da. Ich will auch nach Griechenland und weiter, Albanien und dies und das, ein besseres Leben.. Nicht besseres Leben, nur ein normales Leben. Weißt du, wie ich mein? Ganz normal. Ich will keine Villa, keinen Ferrari, keinen Lamborghini, nix, wirklich. Ich will nur ein normales Leben. Einen Job, eine Arbeit, aber im Ausland, nicht in Marokko oder Türkei weißt du.
Weil ich kenn die Kultur in Europa, ist richtig schön und alles. Euer Weihnachten auch. Alles schön bei euch, wirklich. Und sei mal froh, du auch. Musst du froh sein, wie alle anderen, als Europäerin weißt du wie ich mein? Wirklich, wenn du Araberin bist, dann hast du ein Scheißleben, ehrlich. Keine Arbeit, kein nix. Arme familie, dies und das. Und in meinem Kopf ehrlich… mein Kopf ist richtig kaputt, ehrlich… ich muss Therapie machen oder keine Ahnung weißt du… ich hab diese scheiß Selbstmordgedanken und ich hab den Scheiß… weißt du wie ich mein, diese scheiß Selbstmordgedanken in meinem Kopf… manchmal will ich mich ritzen, ehrlich wirklich, ich will mich ritzen in meine Beine oder meine Arme… weißt du wie ich meine? Und ich hab Angst. Nicht wegen dem Ritzen, das ist scheißegal. Aber Angst, irgendwann wenn ich heirate und Kinder mache und so, und meine Tochter oder mein Sohn sieht das auf meinem Körper… das ist nicht schön, weißt du wie ich meine? Ich bin kein schlechter Mensch.
Und es tut mir sehr weh und tut mir sehr leid für diese Flüchtlinge weißt du weil zu viele Leute die kommen hier zurück in die Türkei wie dieser Junge von dem ich dir Fotos geschickt habe. Er hatte alles gebrochen, Beine und das und das. Das tut mir auch weh weißt du wie ich mein, in dem Knast in Griechenland und wie die Griechen die Flüchtlinge schlagen und so. Die Griechen können mich schlagen, soviel sie wollen. Kein Problem. Kopf schlagen, Körper blau machen, ist nicht schlimm. Aber sie machen das mit allen, und was kann man dagegen machen?
Jetzt ist es ja schon 2 Uhr früh.. Deswegen hab ich gesagt du musst froh sein, und alle die aus Europa kommen müssen froh sein, weißt du, scheiß Leben… weil ich fühle das, ich fühle das. Zum Beispiel ne: du machst deine Schule fertig, alles, bis zum Ende, du bist fertig mit der Schule. Ausbildung gemacht, ne, und hast viele Bewerbungen geschrieben, Lebenslauf und so, und du hast nicht gearbeitet, ne. Das ist richtig scheiße. Was ist das denn, ja? Das heißt du musst dich verpissen aus deinem Land, und ganz weit, weißt du, und zurück. Aber wie denn? Das ist ein bisschen schwierig.
Und noch was und es tut mir leid wirklich. Ich will das nicht sagen. Es tut mir wirklich leid. Ich hab mich geritzt… ich hab mich geritzt. Und dann hab ich geweint. Es tut mir wirklich leid. Weißt du ich hab mich geritzt… Das heißt nicht ich bin ein schlechter Junge. Doch ich bin ein guter Mann und ich weiß das. Ich bin ein guter Mann. Und ich hab mich geritzt, weißt du… Scheiß. Ich hab Selbstmordgedanken. Ehrlich, ich kann nicht mehr. Ich habs versucht, aber es geht nicht mehr. Jede Tür ist zu, vor meinem Gesicht. Jede Tür ist zu. Ich hab keinen Weg mehr, weißt du. Ich will nur einen guten Weg finden. Ich hab keinen... ich hab keinen…Ich finde keinen Weg mehr, ja. Ich will nur einen guten Weg, aber es gibt keinen Weg mehr, ja… ich bin fertig.
Ich hab mich wieder geritzt.... In meinen Arm… Das tut mir weh ja…
Mein Kopf geht langsam kaputt. Ich erinnere mich daran, wie ich in Deutschland war. Weißt du wie ich mein? Immer. Wenn ich schlafen gehe, träume ich in meinem Kopf nur von Deutschland und Europa, wirklich. Ich will nur weg von hier. Ich hab mich heute wieder geritzt, weißt du. Ich hab mich auch grade geschämt. Ich schäme mich. Es tut mir leid. Ich brauch wirklich Hilfe, ehrlich. Es kommt grade Blut raus aus meinem Arm, weißt du. Und ich will das nicht machen, weißt du, aber… weißt du, ich hab richtig Druck in meinem Kopf. Die Scheiße kommt wieder… die Selbstmordgedanken, weißt du. Es ist immer noch in meinem Kopf. Wirklich, hilf mir, bitte…”



Triggerwarnung: der Inhalt des folgenden Text kann für manche Menschen belastend sein


Die Abschottungspolitik Europas gefährdet nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit von Schutzsuchenden. Menschen, die versuchen nach Europa zu gelangen, sind in einem Schwebezustand gefangen, ohne jemals ankommen und zur Ruhe kommen zu können. Zahlreiche geflüchtete Personen in der Türkei leben in einem Alltag geprägt von Gewalt, Hoffnung- und Perspektivlosigkeit. Sie versuchen immer wieder, die Grenze zu  Griechenland oder Bulgarien zu überqueren, überleben wieder und wieder Pushbacks, kommen erneut in der Türkei an, und werden in diesem nie enden wollenden Kreislauf zermürbt. Doch die systematische Abschottung und Diskriminierung findet nicht nur an den Grenzen direkt statt. Selbst im “besten” Fall, wenn jemand es schafft, nach Griechenland zu kommen, ohne zurück gepushed zu werden, folgt ein monatelanges Warten auf das Interview im Asylverfahren, den Asylbescheid, die Anerkennung oder Ablehnung als Geflüchtete*r, anschließende Einsprüche und Beschwerden, oder erneutes Warten auf den Erhalt der Ausweisdokumente. Dasselbe passiert in Nord- und Westeuropa. Selbst wenn es jemand all der Pushbacks zum trotz schafft, in ein europäisches Land zu gelangen und einen Asylantrag zu stellen, droht oft weiterhin eine Abschiebung - oft auch bei eindeutig vorliegenden Fluchtgründen. Selbst nach Jahren in Europa können die Menschen nicht vollständig ankommen. Das systematische Entwerten und Absprechen von fundamentalen Rechten und Freiheiten zur Lebensgestaltung ist eine ständige Dauerbelastung für die betroffenen Individuen.

Die europäische Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik zwingt damit unzähligen Menschen Umstände und Lebensrealitäten auf, welche die Entwicklung von psychischen Störungen und psychosomatischen Symptomen unausweichlich machen.

Beispielhaft ist hierfür die Geschichte von Mundir, einem jungen Mann aus Marokko. Er kam 2015 nach Deutschland. Er lernte ohne offizielle Kurse fließend Deutsch, fand einen Freund*innenkreis, der seine Familie ersetzte, und baute sich ein neues Leben auf. Er fand die Liebe seines Lebens, sie zogen zusammen. 2019, nach vier Jahren, kam der Abschiebebescheid. Geschockt rieten Mundirs Freund*innen ihm, unterzutauchen. Doch er wollte nicht in die Illegalität abrutschen, und er wollte seine Freundin nicht verlassen. Innerlich zerrissen wurde er schließlich nach Marokko abgeschoben. Nur einen Monat später hielt er es nicht mehr aus. Er verließ Marokko abermals, ist seitdem in der Türkei und versucht seit über einem Jahr wieder und wieder, nach Europa zu gelangen. Er hat zahlreiche Pushbacks erlebt. Am Meer, und am Land. Von Griechenland in die Türkei, von Bulgarien in die Türkei, von Bulgarien nach Griechenland und dann von dort in die Türkei.


Diese Erfahrungen, gemeinsam mit der Perspektivlosigkeit haben ihn zutiefst geprägt


“Hallo, wie gehts dir, ist alles gut bei dir? Wie gehts Mama, Papa, und Familie? Alles in Ordnung?
Ich weiß nicht mehr… alles fuckt mich ab, wirklich ja… Ich bin seit einem Jahr hier, ich hab versucht nach Griechenland reinzukommen… Aber klappt nicht. Klappt nicht bei mir ehrlich, ich bin verflucht oder keine Ahnung… Seit einem Jahr und ich bin immer noch da. Ich will auch nach Griechenland und weiter, Albanien und dies und das, ein besseres Leben.. Nicht besseres Leben, nur ein normales Leben. Weißt du, wie ich mein? Ganz normal. Ich will keine Villa, keinen Ferrari, keinen Lamborghini, nix, wirklich. Ich will nur ein normales Leben. Einen Job, eine Arbeit, aber im Ausland, nicht in Marokko oder Türkei weißt du.
Weil ich kenn die Kultur in Europa, ist richtig schön und alles. Euer Weihnachten auch. Alles schön bei euch, wirklich. Und sei mal froh, du auch. Musst du froh sein, wie alle anderen, als Europäerin weißt du wie ich mein? Wirklich, wenn du Araberin bist, dann hast du ein Scheißleben, ehrlich. Keine Arbeit, kein nix. Arme familie, dies und das. Und in meinem Kopf ehrlich… mein Kopf ist richtig kaputt, ehrlich… ich muss Therapie machen oder keine Ahnung weißt du… ich hab diese scheiß Selbstmordgedanken und ich hab den Scheiß… weißt du wie ich mein, diese scheiß Selbstmordgedanken in meinem Kopf… manchmal will ich mich ritzen, ehrlich wirklich, ich will mich ritzen in meine Beine oder meine Arme… weißt du wie ich meine? Und ich hab Angst. Nicht wegen dem Ritzen, das ist scheißegal. Aber Angst, irgendwann wenn ich heirate und Kinder mache und so, und meine Tochter oder mein Sohn sieht das auf meinem Körper… das ist nicht schön, weißt du wie ich meine? Ich bin kein schlechter Mensch.
Und es tut mir sehr weh und tut mir sehr leid für diese Flüchtlinge weißt du weil zu viele Leute die kommen hier zurück in die Türkei wie dieser Junge von dem ich dir Fotos geschickt habe. Er hatte alles gebrochen, Beine und das und das. Das tut mir auch weh weißt du wie ich mein, in dem Knast in Griechenland und wie die Griechen die Flüchtlinge schlagen und so. Die Griechen können mich schlagen, soviel sie wollen. Kein Problem. Kopf schlagen, Körper blau machen, ist nicht schlimm. Aber sie machen das mit allen, und was kann man dagegen machen?
Jetzt ist es ja schon 2 Uhr früh.. Deswegen hab ich gesagt du musst froh sein, und alle die aus Europa kommen müssen froh sein, weißt du, scheiß Leben… weil ich fühle das, ich fühle das. Zum Beispiel ne: du machst deine Schule fertig, alles, bis zum Ende, du bist fertig mit der Schule. Ausbildung gemacht, ne, und hast viele Bewerbungen geschrieben, Lebenslauf und so, und du hast nicht gearbeitet, ne. Das ist richtig scheiße. Was ist das denn, ja? Das heißt du musst dich verpissen aus deinem Land, und ganz weit, weißt du, und zurück. Aber wie denn? Das ist ein bisschen schwierig.
Und noch was und es tut mir leid wirklich. Ich will das nicht sagen. Es tut mir wirklich leid. Ich hab mich geritzt… ich hab mich geritzt. Und dann hab ich geweint. Es tut mir wirklich leid. Weißt du ich hab mich geritzt… Das heißt nicht ich bin ein schlechter Junge. Doch ich bin ein guter Mann und ich weiß das. Ich bin ein guter Mann. Und ich hab mich geritzt, weißt du… Scheiß. Ich hab Selbstmordgedanken. Ehrlich, ich kann nicht mehr. Ich habs versucht, aber es geht nicht mehr. Jede Tür ist zu, vor meinem Gesicht. Jede Tür ist zu. Ich hab keinen Weg mehr, weißt du. Ich will nur einen guten Weg finden. Ich hab keinen... ich hab keinen…Ich finde keinen Weg mehr, ja. Ich will nur einen guten Weg, aber es gibt keinen Weg mehr, ja… ich bin fertig.
Ich hab mich wieder geritzt.... In meinen Arm… Das tut mir weh ja…
Mein Kopf geht langsam kaputt. Ich erinnere mich daran, wie ich in Deutschland war. Weißt du wie ich mein? Immer. Wenn ich schlafen gehe, träume ich in meinem Kopf nur von Deutschland und Europa, wirklich. Ich will nur weg von hier. Ich hab mich heute wieder geritzt, weißt du. Ich hab mich auch grade geschämt. Ich schäme mich. Es tut mir leid. Ich brauch wirklich Hilfe, ehrlich. Es kommt grade Blut raus aus meinem Arm, weißt du. Und ich will das nicht machen, weißt du, aber… weißt du, ich hab richtig Druck in meinem Kopf. Die Scheiße kommt wieder… die Selbstmordgedanken, weißt du. Es ist immer noch in meinem Kopf. Wirklich, hilf mir, bitte…”



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